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Frühe Kämpferinnen für die Frauenrechte

Straßenbahnschaffnerinnen sollen im Winter auch lange Hosen tragen dürfen! Das war eine der Forderungen, die Agnes Gerlach vertrat, als sie vor genau 100 Jahren den Nürnberger Verein im »Deutschen Verband zur Verbesserung der Frauenkleidung« ins Leben rief.
100 Jahre »Frau und Kultur«: Zur Jubiläumsfeier im Grand Hotel gab es eine Hutmodenschau (links 1.Vorsitzende Ulrike Kreppner). Foto: Michael Matejka
100 Jahre »Frau und Kultur«: Zur Jubiläumsfeier im Grand Hotel gab es eine Hutmodenschau (links 1.Vorsitzende Ulrike Kreppner). Foto: Michael Matejka

Straßenbahnschaffnerinnen sollen im Winter auch lange Hosen tragen dürfen! Das war eine der Forderungen, die Agnes Gerlach vertrat, als sie vor genau 100 Jahren den Nürnberger Verein im »Deutschen Verband zur Verbesserung der Frauenkleidung« ins Leben rief.

Man schrieb das Kriegsjahr 1916, die Bundesorganisation des Verbandes war bereits 20 Jahre zuvor in Berlin gegründet worden, die Leitlinien standen fest. Frauen hatten sich jahrhundertelang in ein Korsett zwängen müssen – damit sollte nun endlich Schluss sein. Doch Agnes Gerlachs Ziel war keineswegs nur der Einsatz für praktische Frauenkleidung, sie schuf sich nach dem Ersten Weltkrieg auch einen Namen in Nürnbergs Kommunalpolitik. Die sozial engagierte Kämpferin, die der Lebküchnerfamilie Haeberlein-Metzger entstammte, gehörte als eine der ersten Frauen Nürnbergs von 1919 bis 1924 dem Stadtrat an. Aufgrund ihrer Initiative entstand das Albert-Schweitzer-Seniorenstift in Erlenstegen. Die Stadt würdigte die Verdienste der Frauenrechtlerin und benannte eine Straße nach ihrem Namen: den Agnes-Gerlach-Ring in Neu-Katzwang.

Forderte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts bessere Kleider für die Frau, ging es nach 1945 und dem Wiederaufbau Deutschlands um viel mehr: die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft. Der Verband wurde in »Frau und Kultur« umbenannt, die Ziele hießen von nun an Bildung, Kultur und Lebensqualität. Die Nürnberger Gruppe wird seit 36 Jahren von Ulrike Kreppner (75) geleitet. Auch sie stammt, wie Gerlach, aus der Familie Haeberlein-Metzger. »Gehst Du wieder in die Frauenkultur?«, fragten sie früher ihre Kinder, wenn sie sich jeweils donnerstags zu den Veranstaltungen auf den Weg machte. Der Vorstand ist ein gut eingespieltes Team: Seit 1994 agiert Christa Rauch als zweite Vorsitzende, Anita Juckuff organisiert den Bastel- und Kreativkreis, Anna Elisabeth Häfner leitet den Literaturkreis und Heide Mögel gestaltet liebevoll das Gästebuch und gratuliert jedem Mitglied zum Geburtstag.

Die Weihnachtsfeier ist besonders beliebt

Im stilvollen »Frau und Kultur«-Treff des Grand Hotels fühlt sich der Frauenkreis wohl, die Mitglieder kommen ein- bis zwei Mal pro Monat zu Vorträgen, Lesungen und Diskussionen zusammen. »Wir haben auch schon andere Lokalitäten ausprobiert, kehrten aber immer wieder ins bewährte Grand Hotel zurück«, berichtet Kreppner. Jedes Jahr unterstützt der Verein kulturelle Einrichtungen. Bereits 2007 spendeten die Nürnbergerinnen eine Summe für die Rekonstruktion des Pellerhauses. Pro Jahr stehen etwa 40 Veranstaltungen auf dem Programm. Gefragt sind Studienfahrten, Besuche von Sonderausstellungen in ganz Bayern, Stadtführungen in Nürnberg und Fürth sowie Konzerte und Theateraufführungen. Besonders beliebt ist die jährliche Weihnachtsfeier. Die Nürnberger Gruppe verfügte auch über einen Chor, der sich jedoch aus Mangel an Sängerinnen auflöste.

Der Wandel des Frauenbildes veränderte auch die Zahl der Mitglieder. 1980 zählte die Nürnberger Gruppe 250 Frauen, derzeit sind es nur noch rund 190. Woran liegt der Schwund? »Frauen ab 60 schließen sich nicht mehr so gerne einem Verein an«, meint Christa Rauch. »Sie sind alle berufstätig und selbständig, aber auch anspruchsvoller geworden. Sie wollen sich nach den vielen Berufsjahren nicht in ein Ehrenamt einbinden lassen.« Damit »Frau und Kultur« auch in Zukunft sein Programm aufrecht erhalten kann, sucht der Verein dringend Nachwuchs. »Wir können nur hoffen, dass wir kompetente Nachfolgerinnen finden werden«, sagt die Vorsitzende Ulrike Kreppner.

Nicht alles verlief nach Plan

Manche Fahrten der unternehmungslustigen Frauen endeten mit Überraschungen, nicht immer verlief alles akribisch nach Plan. An einem kalten Novembertag auf der Rückfahrt von Regensburg nach Nürnberg war vorgesehen, beim Winkler-Bräustüberl in Velburg-Lengenfeld zu Abend zu essen. Doch eine plötzlich aufziehende Straßenglätte machte das Vorhaben zunichte. Der Busfahrer erklärte kurz vor Lengenfeld, er fahre nicht mehr weiter, bevor nicht gestreut sei. Den Vorsitzenden Kreppner und Rauch blieb nichts anderes übrig, als die Strecke bis zum Lokal zu Fuß zu gehen. Dort stellte der Wirt spontan einen Jeep zur Verfügung, um den wartenden Ausflüglerinnen das Essen auf Papiertellern und das Bier in Kästen zu liefern. Das anschließende Vesper im Bus geriet zum lukullischen Mahl. »Ich habe schon viele Weltreisen gemacht, aber so etwas Schönes habe ich noch nie erlebt«, schwärmt eine Mitreisende. An diesem Abend trank sie zum ersten Mal in ihrem Leben Bier aus der Flasche.

Der Verein »Frau und Kultur« ist heute in mehr als 30 Städten Deutschlands mit rund 3500 Mitgliedern vertreten. Auf die Frage, ob Frauenverbände heute noch zeitgemäß sind, antwortet Irma Hildebrandt in der Verbandszeitschrift: »Männer haben ihren Stammtisch, warum sollten Frauen nicht ihre eigenen Treffs haben? Schon oft wurde Frauenverbänden das Ende prophezeit, aber sie behaupteten sich und sind noch lange kein Auslaufmodell.«

Horst Mayer

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