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Frühe Blicke unter die Haut

Ein gebrochenes Bein, Schmerzen im Rücken oder nachlassendes Hörvermögen: Die moderne Medizin hat viele Möglichkeiten, bei gesundheitlichen Problemen eine genaue Diagnose zu stellen und Abhilfe zu schaffen. Oder zumindest für Linderung zu sorgen. Was wir als selbstverständlich erachten, ist das Resultat eines langen Weges in der Medizintechnik, der oft in ganz kleinen Schritten zurückgelegt wurde.
Moderne Architektur kennzeichnet den Eingang zum Siemens Med Museum im historischen Bau (im Hintergrund). Foto: Mile Cindric
Moderne Architektur kennzeichnet den Eingang zum Siemens Med Museum im historischen Bau (im Hintergrund). Foto: Mile Cindric

Ein gebrochenes Bein, Schmerzen im Rücken oder nachlassendes Hörvermögen: Die moderne Medizin hat viele Möglichkeiten, bei gesundheitlichen Problemen eine genaue Diagnose zu stellen und Abhilfe zu schaffen. Oder zumindest für Linderung zu sorgen. Was wir als selbstverständlich erachten, ist das Resultat eines langen Weges in der Medizintechnik, der oft in ganz kleinen Schritten zurückgelegt wurde.

von Anja Kummerow

Muss der Patient heute in ein Röntgengerät, weiß er vielleicht, dass er diese Untersuchungsmethode dem Forschergeist von Wilhelm Conrad Röntgen verdankt. Doch wer weiß schon, dass ein gewisser Herr Dessauer 1895 die Geschichte dieser bahnbrechenden Erfindung aus der Zeitung vorlas? Dass sein 14-jähriger Sohn Friedrich daraufhin in sein Zimmer stürmte und ein Röntgengerät nachbaute. Und dass dieser später als Physiker zu einem wahren Röntgenpionier wurde? 1901 – dem Jahr, in dem Röntgen für seine Entdeckung den Nobelpreis erhielt – gründete Friedrich Dessauer das Elek­tronische Laboratorium Aschaffenburg, das später in den Veifa-Werken aufging.

Es sind Geschichten wie diese, die das neue Siemens MedMuseum in Erlangen erzählt: persönliche Geschichten, die Geschichte der Gerätemedizin und – eng damit verbunden – die Geschichte der Siemens Medizintechnik. Als eines von vier Standbeinen, auf denen der Elektrokonzern steht, ist diese Sparte eine der Ertragsperlen des Unternehmens.

Siemens selbst hatte anfänglich, als man noch unter dem Namen Siemens & Halske firmierte, nur eine kleine Sparte, die in Berlin medizintechnische Geräte herstellte, bis sich der Konzern mit dem damaligen Marktführer für die Herstellung von Röntgengeräten und medizinischen Apparaturen zusammentat: Es entstand die Firma Reiniger, Gebbert & Schall (RGS). Sie hatte ihren Sitz in Erlangen, wohin Siemens nach der Fusion auch seine medizintechnische Abteilung verlagerte. Veifa war längst Teil von RGS, und so hieß das neue Unternehmen Siemens-Reiniger-Veifa und nach einer weiteren Fusion für lange Zeit Siemens-Reiniger-Werke. SRW – ein damals bekanntes Kürzel. Es wurde sogar in die hauseigenen Blechmarken für die Bergkirchweih gestanzt, die das Unternehmen an seine Mitarbeiter ausgab. Die Marken sind natürlich in der Schau zu sehen.

Das noch junge Museum befindet sich in einem Gebäude, das 1893 – also noch vor Entdeckung der Röntgenstrahlen – erbaut wurde. Hier stehen heute auf modernen und lichten 400 Quadratmetern zahlreiche Apparate aus verschiedenen Jahrzehnten. Kleine Holzkästchen etwa – die Anfänge der Elektromedizin. Bereits ab dem Jahr 1750 wurde versucht, mit Leichtstrom Schmerzen zu lindern.

Aber auch riesige Röntgenapparate sind zu sehen. Allein der Kopf einer Röntgenbombe, mit der erstmals Tumore bestrahlt wurden, wiegt rund 300 Kilogramm. Eine echte Innovation ist die Röntgenkugel, die ab 1934 hergestellt und eingesetzt wurde. Sie war einst mobiler, handlicher und kostengünstiger als alles vorher Dagewesene. »Ein Hit in der Produktion«, sagt Museumsleiterin Doris Vittinghoff.

Opfer des medizinischen Fortschritts werden nicht verschwiegen

Die Entwicklung ist zu diesem Zeitpunkt schon weit genug gediehen, dass auch Ästhetik in der Medizintechnik eine Rolle spielen darf. Bis dahin hatten Röntgengeräte meist den Charme einer Guillotine – in Optik, mitunter auch in ihrer Wirkung. Denn auch das verschweigt die Ausstellung nicht: Dass viele Menschen den Strahlen zum Opfer fielen oder große Opfer für die technische Weiterentwicklung brachten. So zeigen Bilder den Fotografen Otto Schreiber, der 1909 zu Reiniger, Gebbert & Schall kam. Pro Monat machte er Tausende von Röntgen-Aufnahmen. Schon ein Jahr später wurde bei ihm die charakteristische »Röntgenhand« diagnostiziert, die sich bis über den Unterarm erstreckte. 1913 musste die linke Hand amputiert werden, 1924 die rechte. Ein Jahr später starb er.

Viele Ärzte und Schwestern testeten in den Anfangszeiten eigenhändig, ob die Energie für eine Aufnahme reicht. Bis ein findiger Nürnberger Arzt auf die Idee kam, Hände von Skeletten in Wachs zu tauchen, sie mit einem Handschuh zu überziehen und in die Strahlen zu halten.

Röntgen entdeckte die Strahlen im November 1895. Ein wahres „Röntgenfieber“ ging sofort um die Welt. Möglich machte es die Röntgenkugel, mit der Reihenuntersuchungen durchgeführt wurden. Damit sollte vor allem die Tuberkulose bekämpft werden, an der damals tausende Menschen starben. »Die Reihenuntersuchungen haben schließlich dazu beigetragen, dass TBC in Deutschland besiegt wurde«, sagt Leiterin Vittinghoff.  »Ja, so sind wir jahrelang untersucht worden«, erinnert sich Museumsbesucher Alois Hitschel beim Anblick einer ausgestellten Kabine. Von Anfang der 1950-er Jahre bis Ende der 1980-er Jahre kochte er im Siemens-Casino, zum Schluss als Chef. Einiges erinnert ihn an seine Zeit bei Siemens, vieles ist ihm neu.
Zur Medizintechnik gehören bei weitem nicht nur die Röntgengeräte. Auch einer der ersten Computertomographen, die von 1973 an eingesetzt wurden, ist zu sehen, ebenso ein Magnetresonanztomograph, mit dem seit 1983 auch Gewebe und Organe eingehend untersucht werden können. Sie sind sich in Form und Funktion bis heute treu geblieben, inzwischen aber deutlich leistungsfähiger.

Die Mutter des Hörgeräts ist das Telefon

Analysegeräte sind zu sehen, Ultraschallgeräte, Apparate zur Messung von Herz- und Gehirnströmen. Über die ersten implantierbaren Herzschrittmacher wird der Besucher informiert, und über die Technik der Zahnmedizin. Der Entwicklung der Hörgeräte ist ein eigener Teil der Ausstellung gewidmet. Sie sind Produkte, die den Siemens-Wurzeln entwachsen sind: der Telefonie. Hörbrillen hat Doris Vittinghoff für das Museum gefunden und eine als Verstärker getarnte Handtasche aus dem Jahr 1913.

Dreieinhalb Jahre Arbeit investierte das Museumsteam, um Material zu sichten und zu sortieren, um Geschichten und Exponate zusammenzutragen. »Vieles gab es in dem medizintechnischen Archiv, vieles haben wir aber auch über die Auktionsplattform Ebay erstanden«, erzählt Doris Vittinghoff. Ein großer Teil der Stücke hat es nicht in die Ausstellung geschafft und ist jetzt eingelagert. Viel Zeit nahm aber auch die Konzeption der Ausstellung in Anspruch.

Informationen bietet das Museum in verschiedenen Formen: Es gibt sie zu sehen, zu hören, zu fühlen. An Audiostationen leihen Schauspieler Medizintechnik-Pionieren und Gründervätern ihre Stimme, um deren Geschichte zu erzählen. Spezielle Polarisationsfolien machen transparent, was Ärzte eigentlich auf Röntgen-Bildern sehen. Und wem das noch immer nicht genug ist: Mit Hilfe von iPads, die allen Besuchern kostenfrei zur Verfügung stehen, können an den Stationen zusätzliche Informationen abgerufen werden.

Siemens Unternehmensmuseum für Medizinische Technik (Siemens MedMuseum)

Gebbertstraße 1, 91052 Erlangen, Telefon (09131) 736 000
Das Museum ist Di. – Sa.: 10.00 – 17.00 Uhr, Montags und an Sonn- und Feiertagen geschlossen.
Der Eintritt ist kostenfrei. Kostenpflichtige Gruppenführungen nach Anmeldung.

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