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Brauchen Schwule eigene Altenheime?

Vor 20 Jahren wurde der §175 aus dem deutschen Strafrecht gestrichen. Bis dahin standen homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Der Paragraph hat geprägt – die Schwulen, die aus Angst vor Kriminalisierung ihre sexuelle Orientierung verbargen, und die Gesellschaft, die Homosexualität für abartig hielt. Jetzt kommt die erste Generation von bekennenden Schwulen und Lesben in ein Alter, in dem manche von ihnen nicht mehr selbstbestimmt leben können, sondern auf Pflege angewiesen sind. Doch sind Heime und Senioreneinrichtungen auf sie auch vorbereitet? weiterlesen

Gemeinsam alt werden – das wollen auch schwule Paare. Doch manchmal führt kein Weg am Heim vorbei. Foto: EJ White – Fotolia.com
Gemeinsam alt werden – das wollen auch schwule Paare. Doch manchmal führt kein Weg
am Heim vorbei. Foto: EJ White – Fotolia.com

von Georg Klietz
Vor 20 Jahren wurde der §175 aus dem deutschen Strafrecht gestrichen. Bis dahin standen homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Der Paragraph hat geprägt – die Schwulen, die aus Angst vor Kriminalisierung ihre sexuelle Orientierung verbargen, und die Gesellschaft, die Homosexualität für abartig hielt. Jetzt kommt die erste Generation von bekennenden Schwulen und Lesben in ein Alter, in dem manche von ihnen nicht mehr selbstbestimmt leben können, sondern auf Pflege angewiesen sind. Doch sind Heime und Senioreneinrichtungen auf sie auch vorbereitet?
Heinrich G. (Name geändert) lebt seit etwas über einem Jahr in einem städtischen Altersheim in Nürnberg. Der 77-Jährige war lange verheiratet und hat einen Sohn, doch nach dem Tod seiner Frau vor 17 Jahren hat er »keinen Zugang mehr zu Frauen gefunden«. Durch homosexuelle Arbeitskollegen kam er mit der schwulen Szene in Berührung, knüpfte in der Sauna und in Kneipen erste flüchtige Kontakte. Seit über zehn Jahren hat er eine feste Beziehung zu einem Mann.
Im Altenheim weiß niemand von seiner Homosexualität. »Ich gehe damit nicht hausieren«, sagt Heinrich. Wenn er direkt darauf angesprochen werde, dann mache er kein Hehl aus seiner Orientierung. Auch sein Sohn wisse Bescheid. Aber von sich aus macht er seine Homosexualität nicht zum Thema. Im Heim fühlt er sich als Außenseiter. »Ich stehe am Rand«, sagt er. Aber er fühlt sich dadurch nicht belastet, schließlich ist er noch vergleichsweise rüstig. Er kann abends noch in die Kneipe gehen und besucht ab und zu seinen Schwulen-Stammtisch. Außerdem trifft er sich regelmäßig mit seinem Partner. Er weiß, dass sich diese gute Situation schlagartig ändern kann, wenn er gebrechlicher wird und das Heim nicht mehr verlassen kann.
Kaum familiäre Bindungen
»Am Rand stehen«, das erleben viele (ältere) Schwule und Lesben so. Denn das Verstecken der homosexuellen Lebensform ist vielen zur zweiten Haut geworden. Innerhalb der Szene kommen viele damit klar, doch im Alter, wenn sie nicht mehr so mobil sind, kommt die Einsamkeit. Familiäre Bindungen gibt es naturgemäß kaum oder gar nicht. Michael Glas, Geschäftsführer des Nürnberger Lesben- und Schwulenvereins Fliederlich, beschreibt eine typische Situation, wie sie in einem Altenheim oft vorkommt: Da wird unter den Bewohnern von den Kindern und Enkeln erzählt – und die schwule oder die lesbische Person kann dazu nichts beitragen.
»Die Leute verstummen«, sagt Glas. Sie outen sich nicht aus Sorge vor der Reaktion der Anderen. Die Erinnerung an Zeiten, in denen es Razzien in Schwulentreffs gegeben hat, ist bei vielen Älteren noch sehr lebendig. Manche sind davon traumatisiert; jetzt, im Alter, droht eine Re-Traumatisierung aus der erneuten Angst vor Entdeckung und Gewalt.
Erschwerend kommt die Ausweglosigkeit für die Heimbewohner hinzu. Wer sich nicht akzeptiert und respektiert fühlt, kann ja nicht einfach wieder ausziehen. Das macht vorsichtig. »Im Heim verrate ich das nicht«, sagt Glas – dies sei bei älteren Schwulen und Lesben eine häufige Einstellung.
In der Altenpflege wird die Situation von Homosexuellen zunehmend als Thema erkannt. In Berlin gibt es schon seit einigen Jahren eigene Pflegeeinrichtungen für Schwule und Lesben. In Frankfurt wurde gerade ein Haus für seinen vorbildlichen Umgang mit Homosexuellen ausgezeichnet, und das Münchenstift wirbt neuerdings ganz offensiv damit, dass es in seinen Häusern eine offene Atmosphäre für Schwule und Lesben schafft.
In Nürnberg ist das Thema noch nicht angekommen. »Wir haben keine bestimmte Konzeption. Wir gehen mit jedem Menschen normal um«, sagt eine Beschäftigte in einem Nürnberger Heim. Für Michael Glas von Fliederlich ist das zu wenig. Vor rund einem Jahr hat der Verein deshalb einen Arbeitskreis »Pflege und Vielfalt« gegründet, der das Thema in die Einrichtungen tragen und das Personal beraten will. Denn seiner Erfahrung nach werde da von Seiten der Heime oft abgewiegelt: Solange sich niemand outet, gehe man davon aus, dass es auch keine Schwulen und Lesben gebe.
Bei schätzungsweise fünf bis acht Prozent Homosexuellen in der Bevölkerung ist dies freilich unrealistisch. Und in Zukunft wird es immer mehr Schwule und Lesben geben, die das Versteckspiel nicht länger mitmachen wollen, die sich offen zu ihrer (sexuellen) Identität bekennen. Laut Statistik wird es bis zum Jahr 2050 in Deutschland schätzungsweise 2,2 Millionen homosexuelle Menschen über 65 Jahre geben. »Ich wünsche mir, dass diese Gruppe integrierbar ist«, sagt Uta Seifert, die bei Fliederlich ebenfalls im Arbeitskreis Pflege mitarbeitet. Homosexuelle sollen ihrer Meinung nach nicht in speziell für sie geschaffene Einrichtungen gedrängt werden, sondern die Möglichkeit haben, ganz normal zwischen Heterosexuellen zu leben.
Das hessische Familienministerium hat bereits im Jahr 2009 eine Broschüre »Homosexualität und Alter« aufgelegt, mit der es die Beschäftigten in der Altenpflege für das Thema sensibilisieren möchte. Darin werden praktische Hinweise gegeben, wie das Pflegepersonal mit homosexuellen Heimbewohnern und Patienten umgehen sollte: Die Beschäftigten sollten im Umgang mit alten Menschen eine gleichgeschlechtliche Lebensform grundsätzlich als Möglichkeit einbeziehen und Signale und Bedürfnisse älterer Schwuler und Lesben wahrnehmen und verstehen. Sie sollen begreifen und nachvollziehen können, was es bedeutet, über einen großen Teil des Lebens nicht offen reden zu können. Und sie sollen ihre eigenen Ängste und Unsicherheiten erkennen.
»Man muss es anschieben«
»Ich sehe einen Schulungsbedarf in den Heimen«, sagt Walburga Dietl, Leiterin des von der Stadt Nürnberg und den Kassen gemeinsam getragenen Pflegestützpunkts. Von selbst werde da nichts geschehen. »Man muss es fast schon von oben anschieben«, glaubt sie – und »man muss konstant dranbleiben«. Vielleicht sei es möglich, für den Anfang einzelne Heime zu gewinnen, die sich des Themas annehmen.
Die Nürnberger Seniorenamtsleiterin Sabrina Dellith gibt zu, dass die Behörde die Situation von Homosexuellen in Heimen bis dato noch nicht zum Thema gemacht hat. Sie fragt sich aber auch, ob es für die Pflege überhaupt einen Unterschied macht, ob es sich um eine homo- oder heterosexuelle Person handelt. Um das herauszufinden, strebt sie einen Dialog an. »Eine Rückmeldung wäre sehr gut, um zu sehen, ob es Handlungsbedarf gibt.« Sie dämpft aber auch allzu große Erwartungen.
Die Heime seien mit der Umsetzung neuer Gesetze oder Pflegestandards oft schon bis an die Grenze belastet. Gleichwohl möchte sie in der nächsten Pflegekonferenz die Situation von älteren Schwulen und Lesben auf die Tagesordnung nehmen.
Wie wichtig Fingerspitzengefühl und mehr Informationen über die Situation älterer Homosexueller sind, beschreibt eine ältere Lesbe in der Broschüre des hessischen Familienministeriums: »Ich sehne mich nach einem Gespräch mit einer, der ich nichts erklären muss. Die interessiert ist, wenn ich von meinen damaligen Freundinnen erzähle, und die mich nicht dauernd nach meinem verstorbenen Ehemann fragt.«

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