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Noch wird jede Auffälligkeit bei Demenzkranken auf handgeschriebenen Fragebögen festgehalten. Foto:epd

Ob qualifizierte Pflegekräfte bald mit Tablets statt mit manuell geschriebenen Fragebögen zur häuslichen Pflege kommen? Greifwalder Forscher haben nämlich herausgefunden, dass eine computergestützte Software 85 Prozent mehr individuelle Versorgungslücken bei Demenzkranken feststellen kann als ein handgeschriebenes Protokoll. Zudem wird eine Art Hausarztinformationsbrief erstellt, der Entscheidungshilfen gibt, um einen optimale Versorgung zu gewährleisten.
Eine Schlüsselrolle tragen besonders qualifizierte Pflegefachkräfte. Sie besuchen die Patienten zu Hause und erfassen per umfangreicher Befragungen mit Hilfe von Tablet-PCs deren Versorgungssituation. Anhand dieser Angaben erstellt ein Computerprogramm spezifische Handlungsempfehlungen für den Hausarzt. Das neue Verfahren ist Teil eines umfassenden Konzepts, das das DZNE in Kooperation mit der Universitätsmedizin Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern erprobt, um die häusliche Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern.
Dementielle Erkrankungen sind komplex und betreffen neben physischen auch psychologische, soziale und rechtliche Aspekte. „Wir benötigen umfassende Versorgungslösungen, die auf die Betroffenen und ihre pflegenden Angehörigen individuell zugeschnitten sind“, so Professor Wolfgang Hoffmann, Standortsprecher des DZNE, Standort Rostock/Greifswald, und geschäftsführender Direktor des Instituts für Community Medicine an der Universitätsmedizin Greifswald. Die Komplexität dieser Aufgabe veranlasste die Forscher, ein computergestütztes Interventions-Management-System (IMS) zu entwickeln. „Die Software gleicht individuelle Patientencharakteristiken mit einem Kriterien- und Maßnahmenkatalog ab, in dem Bedingungen für eine möglichst optimale Versorgung von Menschen mit Demenz beschrieben sind“, erklärt Dr. Tilly Eichler, Wissenschaftlerin am DZNE in Greifswald. Das System wird bereits seit Januar 2013 in Mecklenburg-Vorpommern getestet, erste Ergebnisse liegen nun vor. Die Untersuchungen sind Bestandteil von „DelpHi-MV“ – in dieser wissenschaftlichen Studie erprobt das DZNE neue Ansätze zur häuslichen Versorgung von Menschen mit Demenz.
Betreuungsmanager testen das System in der Praxis
Dabei werden die Studienteilnehmer – Menschen mit Demenz im Alter ab 70 Jahren – von speziell geschulten Pflegefachkräften unterstützt. Diese „Dementia Care Manager“ (DCM) besuchen die Patienten zu Hause. Zu den Aufgaben der DCM zählen umfangreiche Befragungen. Sie protokollieren unter anderem gesundheitliche Beschwerden, Medikation, die Häufigkeit von Arztbesuchen und auch, ob die Patienten einen Bevollmächtigten bestimmt haben, der für sie über medizinische Angelegenheiten entscheiden kann. Auf diese Weise erfassen die Betreuungsmanager systematisch den individuellen Versorgungsbedarf auf ärztlicher, pflegerischer, medikamentöser, psychosozialer und sozialrechtlicher Ebene. Die Daten werden direkt in Tablet-PCs eingegeben, auf denen das IMS installiert ist. Das Computerprogramm erstellt dann konkrete Handlungsempfehlungen für den Hausarzt.
Ziel ist eine maßgeschneiderte Versorgung
Das IMS schlägt bis zu 28 verschiedene Maßnahmen für die Versorgung und Behandlung – sogenannte Interventionen – vor. Ergibt die Befragung beispielsweise Hinweise auf eine Depression, wird die Überweisung zu einem Psychiater empfohlen, um den Verdacht abzuklären. Fällt es dem Patienten schwer, alltägliche Dinge zu verrichten, wie Anziehen oder Zähneputzen, rät das IMS zu einer Ergotherapie. Die DCM können diese Empfehlungen überarbeiten, wenn sie es für notwendig erachten. Änderungen werden protokolliert. „Letztlich entsteht ein detaillierter Hausarztinformationsbrief, der Entscheidungshilfen für einen maßgeschneiderten Versorgungs- und Behandlungsplan beinhaltet“, erläutert Eichler. „Der Hausarzt entscheidet dann, welche Maßnahmen tatsächlich eingeleitet und in Kooperation mit dem Dementia Care Manager umgesetzt werden.“
Ein Dementia Care Manager begleitet den Interventionsplan über mindestens ein halbes Jahr und gibt Patienten und Angehörigen individuelle Hilfestellungen im Umgang mit der Erkrankung. Die Betreuung, die im Rahmen regelmäßiger Hausbesuche geschieht, soll den Weg für eine gute und dauerhafte Versorgung bereiten. „Wir möchten die Menschen mit Demenz und ihre Familien möglichst frühzeitig in das regional verfügbaren Gesundheitssystems einbinden. Unser Ziel ist, dass sie diese Ressourcen optimal nutzen“, sagt Eichler.
Software deckt Versorgungslücken auf
In einer ersten Auswertung stellte sich heraus, dass das neue Computerprogramm die Betreuungs-manager bei der Identifizierung von Behandlungs- und Versorgungslücken effektiv unterstützt. Die DZNE-Forscher verglichen dazu zwei Patientengruppen: In der einen wurde nach Versorgungslücken anhand eines manuellen Fragenbogens gesucht. In der anderen kam derselbe Fragebogen in Gestalt des IMS zum Einsatz. Fazit: Die Software spürte Bedürfnisse auf, die bei der händischen Auswertung nicht aufgefallen waren.
„Die Anzahl der Interventionsempfehlungen für den Hausarzt steigerte sich durch den Einsatz des IMS um 85 Prozent“, berichtet Professor Hoffmann „Damit konnten unsere Dementia Care Manager effektiver für die Menschen mit Demenz und die pflegenden Angehörigen arbeiten.“
„Das IMS verschafft dem Hausarzt so ein genaueres Bild des Patienten verbunden mit konkreten Handlungsempfehlungen“, sagt Hoffmann weiter. „Wir wollen nun untersuchen, welche Interventionen tatsächlich umgesetzt werden und welche Wirkung sie haben. Letztlich möchten wir die Lebensqualität der Patienten verbessern und ihre Angehörigen entlasten.“

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