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Kulturoase an der alten Handelsstraße

Unser Ausflugs-Tipp führt dieses Mal in das idyllisch im Pegnitztal gelegene Ottensoos zwischen Lauf und Hersbruck. Der kleine Ort kann nicht nur mit einer wechselvollen 1110 Jahre alten Geschichte »im Schnittpunkt vieler Herrschaften« aufwarten. Er glänzt auch mit einem – für eine Gemeinde von nur 2000 Einwohnern – einmaligen Projekt: dem »Kulturbahnhof«. Dahinter steckt ein Lern- und Erlebnisort, der sich wunderbar für einen Sonntagsspaziergang anbietet.

Renate Kirchhof-Stahlmann und Prof. em. Dr. Volker Stahlmann leiten im Kulturbahnhof Ottensoos ihr eigenes Museum. Foto: Mile Cindric
Renate Kirchhof-Stahlmann und Prof. em. Dr. Volker Stahlmann leiten im Kulturbahnhof Ottensoos ihr eigenes Museum. Foto: Mile Cindric

Unser Ausflugs-Tipp führt dieses Mal in das idyllisch im Pegnitztal gelegene Ottensoos zwischen Lauf und Hersbruck. Der kleine Ort kann nicht nur mit einer wechselvollen 1110 Jahre alten Geschichte »im Schnittpunkt vieler Herrschaften« aufwarten. Er glänzt auch mit einem – für eine Gemeinde von nur 2000 Einwohnern – einmaligen Projekt: dem »Kulturbahnhof«. Dahinter steckt ein Lern- und Erlebnisort, der sich wunderbar für einen Sonntagsspaziergang anbietet.
Ottensoos wird am 14. Februar 903 erstmals urkundlich in einer Schenkungsurkunde als »Otunassaza« erwähnt. Von da an gehörte der Ort dem Regensburger Benediktinerkloster St. Emmeran. Nach einigen Besitzerwechseln machte sich im Hochmittelalter der wachsende Einfluss der Reichsstadt Nürnberg bemerkbar. So siedelten sich nach dem Pogrom und der Vertreibung von 1499 auch Juden aus Nürnberg in Ottensoos an. Deutlicher sichtbar wurde der Einfluss des großen Nachbarns dann durch die Übernahme des Protestantismus (1525).
Die Ausdehnung des Machtbereichs der (protestantischen) Reichsstadt gefiel den katholischen Gegnern wenig. So tobten die Kämpfe um die Vorherrschaft zwischen Nürnberg und den Ansbacher Markgrafen (1449-50 und 1552-54) auch in Ottensoos. Verwüstet und niedergebrannt wurde der Ort außerdem im 30-jährigen Krieg (1618-48). Das große Interesse an dem kleinen Ort liegt in seiner Lage direkt an der Handelsstraße in die Oberpfalz und weiter nach Böhmen begründet. Nürnberg war an diesem freien Handelsweg sehr gelegen. Die mächtige Reichsstadt stritt zudem mit den Ritterfamilien zu Rothenberg um die Einnahmen aus den Geschäften, worunter die Ottensooser leiden mussten.
Von dieser unruhigen Zeit zeugt noch heute das Wahrzeichen von Ottensoos – die Kirche des heiligen Veit, erbaut um 1000 n. Christus. Ursprünglich als katholische Kirche des Bistums Eichstätt gegründet, seit 1525 aber evangelisch, steht die Wehrkirche noch heute trutzig zwischen dem unteren und oberen Teil des Dorfes. Sie verfügte seit 1450 im Norden über eine doppelte Mauer, während die südliche einfache Mauer noch um einen Wall ergänzt wurde.
Spätgotische Hallenkirche
In einem gewissen Gegensatz dazu steht der ruhige und spärlich geschmückte Innenraum der spätgotischen Hallenkirche mit ihren vier Schiffen. Das wichtigste Kunstwerk ist eine runde Scheibe im Südfenster. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert und zeigt den heiligen Veit und eine Madonna. Bemerkenswert ist auch das schlichte Taufbecken aus dem frühen 16. Jahrhundert mit seinem barocken Deckel. Der Altar zeigt eine Figurengruppe aus dem 17. Jahrhundert, wahrscheinlich in Nürnberg hergestellt. In den Seitenaltären sind Schreine zu sehen, die das Leben der 14 Nothelfer thematisieren. Einer von ihn war der heilige Veit.
Eine eher friedliche Invasion aus Richtung Nürnberg erlebte Ottensoos, als 1859 die Eisenbahnlinie nach Amberg eröffnet wurde. Jetzt kamen die Nürnberger in friedlicher Absicht und entdeckten das landwirtschaftlich und vom Hopfenanbau geprägte Ottensoos als Ausflugsziel. Sichtbare Zeichen dieser Entwicklung sind das 1903 entstandene Kurhaus Waldeck, in dem die Sommerfrischler übernachten konnten, sowie viele stattliche Bürgerhäuser entlang der Bahnlinie. Ein Rundgang durch den gesamten Ort mit seinen dörflichen Strukturen lohnt sich.
Gegen die Wegwerfmentalität
Aus der Zeit der Industrialisierung stammt auch das 1859 wahrscheinlich von Friedrich Bürklein erbaute und heute unter Denkmalschutz stehende Bahnhofsgebäude. Als dieses nach längerem Leerstand zu verwahrlosen drohte, kaufte es im Jahr 2009 das Ehepaar Kirchhof-Stahlmann. Für die renommierte Künstlerin und den ehemaligen Professor für Betriebswirtschaft an der Simon-Georg-Ohm-Hochschule in Nürnberg war die liebevolle Instandsetzung des Gebäudes nicht nur eine Herzensangelegenheit, sie krönte sozusagen ihr 30-jähriges Leben in Ottensoos.
Bei den dreijährigen Arbeiten, die aus privaten Mitteln finanziert und mit Hilfe vieler Freunde und Nachbarn geleistet wurden, stand an erster Stelle die sparsame und ökologische Sanierung. Eine Photovoltaik-Anlage, eine Holzpellets-Heizung und die Wiederverwendung der aus dem alten Haus geborgenen Materialien sowie die Verwendung baubiologischer Stoffe waren dem Ehepaar sehr wichtig: »Wir tun dies alles, um gegen die Wegwerf-Mentalität der Gesellschaft ein Statement abzugeben«, unterstreicht die 70-jährige Renate Kirchhof-Stahlmann. Vieles im Haus wurde selbst gemacht, weil man so wieder ein Verhältnis zu Werkstoffen und handwerklicher Arbeit bekomme, meint ihr zwei Jahre jüngerer Mann.
Im Mittelpunkt: Nachhaltige Entwicklung
So entstand in dem entkernten und restaurierten Haus ein Forum für eine Symbiose von Kunst und Politik, Ökonomie und Dichtung sowie Musik. Das Ziel dieser ungewöhnlichen Kombination ist, die Besucher an den Gedanken einer »nachhaltigen Entwicklung« heranzuführen, welche die Natur achtet und nicht nur auf materiellem Besitz gründet. Im Erdgeschoss sind, neben einem Versammlungsraum für öffentliche Veranstaltungen, die Gemäldezyklen »Genesis« und »Zeit« von Renate Kirchhof-Stahlmann zu sehen. Die Bilder thematisieren die Entwicklung der Menschen weg von der Natur in Raum und Zeit – und die Chance, wieder in Frieden mit ihr zu leben.
Im Obergeschoss hat Volker Stahlmann mit dem Wandbild »Entlässt die Natur den Menschen?« seine künstlerischen Ambitionen unter Beweis gestellt. Daneben findet der Besucher Installationen aus Materialien des alten Hauses und Mandalas (Kreisbilder aus dem Buddhismus und Hinduismus). Bemerkenswert sind auch die szenischen Lichtbilder von Renate Kirchhof-Stahlmann zu der zwischen 1997 und 2003 komponierten Oper »Sonntag aus Licht« von Karlheinz Stockhausen.
Die beiden »Freunde der Natur« wollen mit dem Kulturbahnhof »nicht nur Akademiker erreichen«, wie Volker Stahlmann betont, sondern alle, die gemeinsam in der freundlichen und angenehmen Atmosphäre des Hauses darüber nachdenken wollen, ob und was sie zu einem nachhaltigen Leben beitragen können. Und was kann es Schöneres geben, als danach über das Gesehene bei Kaffee und Kuchen vor der Rückkehr in die Großstadt seinen Gedanken nachzuhängen?
Rainer Büschel

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