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Guter rat am telefon: rena Grießhammer (links) und Birgit Dier helfen Menschen in Notlagen. Foto: Michael Matejka
Die Zahl der Menschen, die mit fortschreitendem Alter in Krisen geraten, steigt. Doch mehr noch als Jüngere kostet es sie häufig große Überwindung, sich professionelle Hilfe zu holen. Das spürt auch die Psychologin und Theologin Ursula Zeh in der Lebensberatung der Erzdiözese Bamberg in der Nürnberger Sandrartstraße 43. »Etwa zehn Prozent unserer Ratsuchenden sind 60 Jahre und älter«, sagt die 54-jährige Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diözese Bamberg. Tendenz steigend. Der demografische Wandel macht sich auch in den Beratungsstellen bemerkbar.
»Es sind die Abschiede, die bereits die über 60-Jährigen erfahren«, sagt Psychologin Zeh. Die großen und die kleinen, die schleichenden und die plötzlichen. Mit ihnen muss man erst mal fertig werden. Sie ereignen sich, wenn die Kinder erwachsen sind und aus dem Haus gehen. Wenn der Partner, die Partnerin stirbt und man, obwohl es einem immer bewusst war, dass es einmal eintreten wird, sich so sehr verlassen fühlt. So plötzlich.
Und dann ist es für die Generation der über Sechzigjährigen nicht leicht, bei einer Beratungsstelle anzurufen, sich einen Termin geben zu lassen und ihn auch wahrzunehmen. Vor allem ältere Ehepaare wagen einen solchen Schritt oft sehr, sehr spät. Für sie gilt immer noch die Devise: »Da muss ich durch.« Es gibt freilich auch gute Beispiele dafür, dass es sich lohnt, sich zu überwinden und beraten zu lassen. Dass es für eine Lebensänderung nie zu spät ist.
Ursula Zeh erinnert sich an eine knapp 70-jährige Frau, die schwere Jahre mit ihrem Ehemann durchlitten hat. Als der Rentner nur noch mäkelte, brüllte, sogar handgreiflich wurde, ging die Frau zu einer Beratungsstelle. Nach intensiven, klärenden Gesprächen, an denen zeitweise auch der Mann teilnahm, reichte sie die Scheidung ein. Ursula Zeh: »Die Frau blühte auf, freute sich über neue Freiräume.«
Wer großen Wert auf absolute Anonymität legt, findet häufig passende Unterstützung bei einer Telefonseelsorge. Oft in ökumenischer Trägerschaft, ist sie in Nürnberg bei der evangelischen Stadtmission beheimatet. Rena Grießhammer ist eine von 70 ehrenamtlichen Frauen und Männern, die im seelsorgerlichen Schichtdienst rund um die Uhr die Hilferufe von Verzweifelten und Geängstigten entgegennehmen. Von den rund 20.000 Anruferinnen und Anrufern im Jahr sind nur etwa 2000 sechzig Jahre und älter, heißt es bei der Stadtmission. Obwohl Anonymität stets gewährleistet ist, scheuen ältere Menschen immer noch, dort Hilfe in Anspruch zu nehmen. »Wir können sie nur ermutigen, bei uns anzurufen, rechtzeitig zum Hörer zu greifen und nicht zu warten, bis sie in ihrer Not keinen Ausweg mehr sehen«, sagt Pfarrerin Birgit Dier (49), die Leiterin der Nürnberger Telefonseelsorge. Und die 69-jährige Rena Grießhammer ergänzt: »Bei uns finden sie ein kompetentes Ohr.« Schließlich dauert die Ausbildung der ehrenamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger ein Jahr.
Nicht selten sind die Beraterinnen- und Berater auch Weichensteller und vermitteln in spezielle Hilfe- und Thera-pie-Einrichtungen. So hat etwa ein verzweifelter Sohn angerufen, weil der Vater seit dem Tod der Mutter schon am Morgen, noch vor dem Frühstück, zur Schnapsflasche greift. »Wir weisen dann auf die Suchtberatung hin, geben Hilfestellung, vermitteln, wenn gewünscht«, versichert Rena Grießhammer.
Die Probleme und Ängste der älteren Ratsuchenden ähneln denen in der Lebensberatung: Es geht um eine schwere Krankheit, die man eigentlich mit sich selbst ausmachen und damit die Kinder nicht behelligen wollte, um das Schwinden der Kräfte, um das Nicht-Fertigwerden mit dem Tod des Ehepartners. Da tut es gut, wenn jemand einfach nur zuhört. Gleichwohl zeigt sich meist ein rettender, tröstlicher Ausweg.
Günter Dehn

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