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Irmtraud Norberg hat ein eindrucksvolles Werk geschaffen. Die Künstlerin lebt in Hundshaupten. Foto: Ute Fürböter
Die Pforte steht offen. Eine Einladung, hereinzukommen. Bildhauerin Irmtraud Norberg ist wie beinahe täglich bei der Arbeit im Skulpturengarten in Hundshaupten in der Fränkischen Schweiz. Trotz drückender Hitze trägt die 67-Jährige ihre übliche Arbeitskluft. Sie steckt in einem »die Figur umspielenden« Blaumann – im Winter tut es ein alter Skianzug –, an den Händen trägt sie dicke Baumwollhandschuhe, ein ausgebleichtes Halstuch ist um den Hals geknotet, die Brille verdeckt fast das Gesicht, und unterm Schlapphut ist das lange, dunkle Haar verborgen.
Dass Irmtraud Norberg eine attraktive Frau ist, lässt sich nicht erahnen. Auch, weil eine dichte Staubwolke die Künstlerin einhüllt, während sie abwechselnd mit einem kreischenden Winkelschleifer und einem Presslufthammer eine Skulptur aus Stein bearbeitet. »Es ist nicht nur eine staubige Angelegenheit, sondern auch eine körperlich schwere Tätigkeit, aber sie macht mich ganz glücklich«, sagt die Bildhauerin überschwänglich. Weit über 1000 Skulpturen hat Irmtraud Norberg schon geschaffen. 50 bis 60 Kunstwerke kommen jedes Jahr hinzu. Unikate aus fränkischem Doggersandstein, Juramarmor oder Granit und Marmor, aber auch aus Holz und Ton. Der Kreis der Liebhaber wächst stetig, die Fachwelt zollt Respekt. Es heißt mitunter, Irmtraud Norberg erwecke Steine zu prallem Leben.
»Ich habe nie eine Kunstakademie besucht, nicht einmal einen Kurs! Ich habe es einfach gekonnt! Obwohl ich damals schon Mitte 50 war!«, sagt sie mit einem ungezwungenen Lachen. Sie stammt ursprünglich aus einem kleinen Ort bei Bremen, ist aber seit über drei Jahrzehnten in Oberfranken beheimatet und wohnt in Igensdorf-Unterlindelbach im Kreis Forchheim. Sie wuchs als eines von drei Kindern eines Landwirts im Norden auf. »Ich habe gern gemalt. Ein Lehrer bescheinigte mir Talent. Aber die Eltern erklärten, mit Malen könne man kein Geld verdienen. Also wurde ich mit 14 Jahren in Stellung geschickt«, erinnert sie sich.
Irmtraud zeichnete abends im Bett, tagsüber löhnte sie in Haushalten. Im stetigen Wechsel mit der Schwester musste sie zurück auf den Hof, weil sie auch dort gebraucht wurden. »Das kann es nicht sein, dachte ich. Also bin ich von zu Hause weggelaufen und nach Cuxhaven geflüchtet«, erzählt Norberg. Es folgten Jahre als Haushaltshilfe, Büglerin und Verkäuferin sowie als Au-Pair-Mädchen in der Schweiz. Schließlich verschlug es die junge Frau nach München. Hier begegnete sie einem Jugendfreund aus der niedersächsischen Heimat wieder.
1973 heirateten Irmtraud und Hartwig Norberg. Sie bildete sich weiter und wurde schließlich Kontoristin und Fakturistin.
Wer weiß, wie weit sie es beruflich noch gebracht hätte, wenn nicht 1977 Sohn Jörg und vier Jahre später Tochter Wiebke geboren worden wären. Denn Irmtraud Norberg war fortan Hausfrau und Mutter. »Ich würde es heute nicht mehr so machen. Ich würde weiterarbeiten. Ich hatte zwar alles, aber ich war nicht zufrieden«, meint sie rückblickend. Als die Kinder weitgehend selbstständig waren, wurde schnell klar, dass sie etwas Neues anfangen müsste.
Irmtraud Norberg erinnert sich noch genau, wie alles begann: »Mein Mann lag mit Grippe im Bett. Und weil wir alles gemeinsam machen, wusste ich auf einmal nichts mit mir anzufangen.«
Schließlich nahm sie sich aus der Küche ein Brotmesser und einen Kartoffelschäler und noch ein bisschen Schleifpapier von Hartwig. Sie hatten seit langem einen Ytong-Stein im Garten. An jenem Tag ist ein wunderschöner Kopf daraus geworden. Er steht noch heute in ihrem Haus auf dem Fensterbrett. Strahlend blickt die Künstlerin über den fast 6000 Quadratmeter großen Garten. Zwischen Blumen und Efeu, unter hohen alten Bäumen, auf den weiten Wiesen und selbst am alten Schuppen liegen oder stehen Skulpturen. »Das ist mein zweites Leben!«, sagt Norberg. Und das Schönste
Als die Leidenschaft für die Bildhauerei seine Irmtraud gepackt hatte, stand der studierte Elektroingenieur kurz vor dem Ruhestand. »Ich hatte mich schon beim Senioren-Experten-Service vorgestellt, Projekte waren bereits vereinbart – zunächst sollte ich nach Indonesien reisen, und Irmtraud hätte mich dorthin begleiten können«, berichtet Hartwig Norberg.
Doch er warf diese Pläne über den Haufen. »Ich sagte zu meiner Frau: ›Du hast mir 25 Jahre die Hemden gebügelt. Jetzt helfe ich dir bei deiner Karriere als Bildhauerin. Ich mache für dich das Marketing!‹« Erfahrung besaß er: Hartwig Norberg war bis zur Rente im Vertrieb des Computerherstellers Hewlett-Packard tätig. Heute managt der mittlerweile 70-Jährige die Kunstausstellungen seiner Frau und pflegt ihre Homepage. Nicht zuletzt legt er kräftig mit Hand an. Beim Schweißen der Podeste für die Skulpturen ebenso wie beispielsweise beim Transport der noch unbehauenen Steine. Immerhin: Die größte Skulptur von Irmtraud Norberg entstand aus einem 300 Kilogramm schweren Brocken.
Ob Koloss oder »Fliegengewicht« – die 67-Jährige arbeitet immer nach der direkten Methode. Sie fertigt also keine Skizze an, sondern deutet den Umriss einer Skulptur bloß mit dem Winkelschleifer an. Auf diese Weise lässt sie die Eigenschaften des Steins sprechen. »Die Gesichter sind bereits im Stein eingeschlossen, ich muss sie nur befreien. Mit Hammer und Meißel würde das zu lange dauern, dann wäre die Idee weg. Der Moment der Kreativität muss in den Stein hinein! Nur deshalb arbeite ich mit Winkelschleifer und Presslufthammer. Hoch konzentriert, denn was weg ist, ist weg. Es geht nicht um Masse oder darum, Zeit zu sparen. Zeit spielt keine Rolle.«
Manchmal schmerzen die Finger
Weil Zeit wirklich keine Rolle spielt, sind Besucher dem Ehepaar immer willkommen. »Ein Künstler lebt auch von der Anerkennung. Wenn jemand sich hier im Garten umschaut und ein paar Worte mit mir wechselt, gibt mir das manchmal mehr als der Verkauf einer Skulptur«, versichert die Bildhauerin. Manchmal, räumt sie ein, tun ihre Finger weh, und wegen des Lärms schmerze es hinter den Ohren. »Aber das merke ich erst, wenn ich aufhöre.«
Text und Fotos: Ute Fürböter

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