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Jede Generation hat ihre Musik

Sagen Sie selbst: Wählen Sie beim Ausgehen den Ort danach aus, welche Musik dort gespielt wird? Die wenigsten älteren Menschen tun dies. Außer bei Konzerten spielt die Musik eben nicht mehr die große Rolle. Ganz anders tickt die Jugend, denn die Musik spielt in verschiedenen Lebensphasen eine unterschiedliche Rolle. Weiterlesen

Am Strand ohne Musik - das war für manche Strandhungrige in den 50er und 60er Jahren undenkbar. Foto: NN-Archiv

Sagen Sie selbst: Wählen Sie beim Ausgehen den Ort danach aus, welche Musik dort gespielt wird? Die wenigsten älteren Menschen tun dies. Außer bei Konzerten spielt die Musik eben nicht mehr die große Rolle.
Ganz anders tickt die Jugend. Den Ort des Treffens, die “Location”, sucht man vor allem nach der Musikrichtung aus, wenn am Freitag oder Samstag die Nacht zum Tage gemacht wird. In ganzen Gruppen fahren sie mit der U2 nach Klingenhof im Nordosten Nürnbergs, wohin sie gleich ein ganzes Nest an Discos lockt. Die Mädchen selbst im Winter so dünn bekleidet und auf so hochhackigen Schuhen, dass der Betrachter fröstelnd mitfühlt. Die U-Bahn stoppt in Herrnhütte, der Wagen leert sich schlagartig. Vor den Discos bilden sich lange Schlangen, da heißt es warten, egal ob sommerlich warm oder eiskalt. Die Musik begleitet die jungen Leute oft schon auf dem Weg zum Tanzen. In der Disco wird dann voll aufgedreht, vielleicht ist sogar ein namhafter Discjockey (DJ) da, der auflegt.
So ist das inzwischen: Ein DJ, der “nur” die Stücke auswählt und vielleicht auch mischt, kann zum Star werden. Von wegen handgemachte Musik: Manches klingt wie die Axt im Walde, wie ein Kettensägenmassaker mit einem Auto als Opfer – jedenfalls für ungeübte Ohren.
Musik weckt Gefühle
Natürlich spielt die Musik in verschiedenen Lebensphasen eine unterschiedliche Rolle. Jugend sucht Orientierung und Leitbilder, erläutert die Pädagogin Claudia Fürstenau aus Braunschweig. Bands geben dabei eine große Stütze ab. Und der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer sagt: “Musik findet nicht nur im Kopf statt, aber ohne Kopf gäbe es keine Musik. Leib und Seele sind hier nicht zu trennen.” Musik kann auch direkt ins Herz gehen, ruft Emotionen hervor, weckt Erinnerungen und schafft Bindungen – sie berührt den Menschen, vor allem im jugendlichen Alter, wenn sich fast alles um Gefühle und Beziehungen dreht. Im späteren Alter ändert sich das bei den meisten Menschen, die Musik spielt nicht mehr die erste Geige.
Der Knopf im Ohr und den iPod in der Hand stellen höchsten Musikgenuss dar: Sarah-Marie Bebic, Chiara Naumann, Jana Schulik, Lea Klingenberg und Lena Knauf. Foto: Michael Matejka

Dass Musik – vor allem bei Jüngeren – allgegenwärtig ist, hängt freilich auch mit der technischen Entwicklung zusammen und dass man seine Musik buchstäblich überall hin mitnehmen kann. Vor gut einem halben Jahrhundert war es ein entscheidender Schritt, als man mit den ersten batteriebetriebenen Transistorradios am Strand oder im Freibad Musik hören konnte. Das Kofferradio wurde für die Nachkriegsjugend zu einem Symbol für Freiheit. Als Ende der 60er Jahre die ersten Kassettenrekorder auf den Markt kamen, war man nicht einmal mehr von einem Radioprogramm (und einem ungestörten Empfang) abhängig, sondern stellte sich seine eigene Musik zusammen. Noch einmal zehn Jahre später, Ende der 70er Jahre, eroberte der Walkman die Märkte – und damit wurde es üblich, unterwegs die eigene Musik per Kopfhörer zu hören. Heute, im Zeitalter von mp3-Playern, iPods und Smartphones, ist die transportable Musikanlage so klein und leistungsstark geworden, dass man sie tatsächlich immer mitnehmen und Lieder austauschen kann.
Was aber hören nun die Älteren? Wir haben einmal ein paar von ihnen zu ihrem Musikgeschmack befragt. Die Nürnbergerin Maria Greff zum Beispiel. Die 59-Jährige hat selbst einmal angefangen, Keyboard zu lernen. Sie sagt von sich selbst: “Ich brauche eine Melodie.” Sie will einzelne Instrumente heraushören können, was bei Techno, Acid House, Hardcore Electric, Heavy Metal und dergleichen kaum möglich ist. “Bestimmte Musik macht mich aggressiv”, gesteht sie. Vor allem, wenn Autos an der Ampel neben ihr halten und die Bässe in voller Lautstärke aus den Autofenstern donnern. “Eine körperliche Attacke”, schimpft sie. Ansonsten gilt für Maria Greff die Regel: “Jeder darf seine Musik hören, nur nicht so laut, dass andere sie mithören müssen.” Melodisches hingegen hört sie quer durch alle Kategorien, gern auch die Hits aus den 80ern.
Musikalisch nicht sehr festgelegt ist auch Angela Spieß. Die 63-Jährige mag einige Sachen von den Rolling Stones, aber auch AC/DC, Operetten und sogar Volksmusik – “wenn es passt”. Ungern sitzt sie in der Bahn, wenn es neben ihr aus den Kopfhörern scheppert. Und manchmal sorgt sie sich um Fußgänger oder Radler mit Kopfhörern. “Die kriegen doch vom Verkehr nichts mit.”
Der erste Plattenspieler
Jan Garbarek, Youssou N‘Dour, aber auch Bach und Verdi zählt Maria Schreubitzsch zu ihren Lieblingsinterpreten. Die 61-Jährige stammt aus einer musikalischen Familie, und wie ihre Mutter sang sie im Chor. “Meine Mutter wollte sogar, dass ich Sängerin werde”, erinnert sie sich. Sie entschied sich jedoch ganz anders und wurde Informatikerin. Als junges Mädchen trug sie aber noch all ihr Geld ins Kino, um die “West Side Story” zu sehen – dafür entflammte ihr Herz. Das Bernstein-Musical war auch die treibende Kraft zum Kauf des ersten Plattenspielers, die Texte kannte sie auswendig. Demnächst bricht Maria Schreubitzsch mit ihrem Mann auf zu einer Weltreise – auf dem Fahrrad. Inspiriert dazu hatte sie ein Artikel in sechs+sechzig, in dem ein Rentnerpaar mit großen sportlichen Ambitionen seine Erlebnisse erzählte. Welche Musik wird Maria Schreubitzsch mit auf die Weltreise nehmen? “Keine Ahnung”, gesteht sie, “vielleicht hören wir einfach nur die Musik, die dort zu Hause ist, wo wir gerade sind.”
Angela Giese

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