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Herbert Heinzelmann kommt ohne Führerschein gut durch das Leben. Foto: Michael Matejka
Bin ich ein Saurier? Jedenfalls bin ich ziemlich alt geworden, ohne je einen Führerschein besessen zu haben. Und ohne mich in diesem Zustand als Behinderter zu fühlen. Das mag daran liegen, dass mich durch mein Leben Frauen mit allem, was dazugehört, begleitet haben. Und dazu gehörte im 20. und gehört im 21. Jahrhundert diese Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs – und das Kraftfahrzeug selbst. Vielleicht habe ich da Glück gehabt.
Trotzdem halten mich viele Menschen für eine Art ausgestorbenes Reptil. Vor allem männliche Geschlechtsgenossen. Denn für Männer ist das Auto häufig ein Körperteil. Ein ganz entscheidendes und sehr maskulines. Der Führerscheinlose gilt ihnen als kastriert. Aber wenn ich mich vage zurück erinnere an die Zeit, als meine Jugendfreunde die Fahrlizenz erwarben, war genau das einer der Gründe, weshalb ich mich verweigert habe (und weswegen ich auch nie zum Raucher geworden bin). Die Freunde fühlten sich männlich, sie wähnten sich stark und erwachsen durch diese Karosserie um sie herum (und durch die Zigarette im Mundwinkel). Ich glaubte, dass ich ohne solche Prothesen auskomme könne. Zu guter Letzt habe ich Recht behalten.
Fremd am Stammtisch
Doch ich fühlte mich manchmal fremd am Stammtisch. Da wurde von Pferdestärken geredet, von Beschleunigungsfaktoren, von metallischen oder matten Farbaufträgen. Von Spitzengeschwindigkeiten, Bremswegen und Spritverbrauch. Ich wusste nichts zu sagen. Manchmal kannte ich nicht einmal die genaue Typenbezeichnung des Wagens, mit dem mich meine Lebensgefährtin gerade kutschierte. Er war rot oder schwarz. Er hatte zwei oder vier Türen. Er fuhr schnell oder nicht so schnell. Ich habe das immer hingenommen. Ich bin eingestiegen und dankbar dafür gewesen, dass ich von einem Punkt zum anderen gekommen bin, ohne die eigenen Füße bewegen oder die Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel studieren zu müssen. Und oft genug auch, weil ich beim Transport von häuslich notwenigen Schwerlasten (Bierkästen) oder sperrigen Gegenständen (Toilettenpapierpaketen) entlastet wurde.
Ich könnte mich jetzt als großen Ökologen aufspielen. Ein Stückchen Welt gerettet, weil ich nie mit eigenem Fuß Benzin durch den Vergaser gejagt habe. (Läuft das technisch so? Ich habe selbstverständlich keine Ahnung.) Aber als bei mir die Frage des Führerscheins anstand, war Umweltschutz kein Thema. Und ich habe als Klimaschänder skrupellos fast alle Kontinente angeflogen. Nein, aus moralischen Gründen habe ich nicht auf das eigene Auto verzichtet. Was mich allerdings in meiner Haltung immer wieder bestärkt hat, war das Missverständnis, das Auto als Lebensgefühl zu betrachten. Manche Freunde haben sowas artikuliert. Die Werbung hat es unaufhörlich propagiert: Tempo-Potenz, Marke und Design des Blechkastens werten das Ego auf! Das habe ich nie begriffen (und auch beim Beifahren nie empfunden). Mein Ego hat ohne diese Ersatzdrogen seine natürlichen Altersfalten bekommen.
Vielleicht habe ich es mir bequem gemacht. Ich habe viel gespart. Zum Beispiel Zeit, wenn ich an die Parkplatzsuche denke. Aber noch mehr Geld, wenn ich Wagenpreise, Steuern, Versicherungen und Benzinkosten berücksichtige. Damit kann ich mir so manche Taxifahrt leisten. Meiner Position kam entgegen, dass ich ein Stadtmensch bin. Ich weiß, wie jämmerlich oft öffentliche Verkehrsanbindungen auf dem Land sind. Und die ganz langen Taxifahrten gehen dann doch stark ins Geld. Man kann sich den Luxus der Autofreiheit wahrscheinlich nur im urbanen Umfeld erlauben.
Weniger bequem waren freilich Reisen ohne die geliebten Chauffeurinnen. Ich musste dienstlich manche Kleinstadt in Deutschland erreichen. Und ich bin überall hingekommen mit Bahn und Regionalverkehr. Ich musste zwar manchmal zeitaufwändig am Fahrplan tüfteln. Ich musste Wartezeiten in Kauf nehmen und Verspätungen ertragen. Aber jede Ankunft hat wieder bewiesen: Es geht tatsächlich ohne!
Es ist ein Leben lang ohne Führerschein gegangen. Mit solchen Erfahrungen liegt der Gedanke fern, sich im Reifezustand einer Fahrprüfung auszusetzen. Ich würde mich damit noch eines Luxus‘ entledigen: dem fraglosen zweiten Bier im Gasthaus. Kein Gefährt hat mich je in die Promillegrenzen gezwungen. Und die Gefährtinnen haben tapfer ertragen, dass sich die Frage, wer denn heute Abend fahren würde, in meinem Fall nicht stellte. In Dankbarkeit widme ich ihnen diese Zeilen.
Herbert Heinzelmann
Foto: Michael Matejka
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