Erika Steinmeyer treibt eine Frage um. Eine Frage, in der es um den Wert von Kunst geht. »Ist für einen – gut dotierten – Akademiepräsidenten die Massenproduktion und der anschließende Verkauf von Kunststoffhasen (nach Dürer), von Hunden (nach dem von Richard Wagner), von Weihnachts-Rauschgoldengeln und Gartenzwergen Ausdruck von beispielgebender künstlerischer Kreativität?«
Ihre Antwort fällt deutlich aus. Erika Steinmeyer hält nicht viel von industriell gefertigten Werken, wie sie der Nürnberger Akademiechef Ottmar Hörl gerne im öffentlichen Raum präsentiert. Sie steht für einen anderen Kunstbegriff, bei dem handwerkliches Können die Grundlage für künstlerisches Arbeiten darstellt. Ihre Leidenschaft ist die Bildwirkerei oder das Gobelin-Weben, also das Schaffen und Restaurieren von Tapisserien, kunstvollen Wandteppichen und Textilien.
1923 in Zagreb als Kind österreichischer Eltern geboren, hat Erika Steinmeyer schon sehr früh in Wien, wo sie Kindheit und Schulzeit verlebte, in einem privaten Stickunterricht erste Bekanntschaft mit der Textilkunst gemacht. Damals erlernte sie eine Fertigkeit, deren Magie sie bis ins hohe Alter begleitet. Nach Kriegsende besuchte sie die Modeschule in Frankfurt/Main, kam später mit ihrem Ehemann nach Nürnberg, der einem Ruf an die Akademie der Bildenden Künste folgte. Sie erlernte an der hiesigen Gobelin-Manufaktur das Weben und Restaurieren von Gobelins. In den 1960-er Jahren war sie künstlerische Leiterin der Manufaktur und realisierte etliche Wandteppiche nach Entwürfen zeitgenössischer Künstler. Noch heute kann man diese Werke in öffentlichen Gebäuden wie dem Rathaus in Hannover, der Nürnberger Meistersingerhalle oder dem Justizgebäude an der Fürther Straße bewundern. Mit ihrem Atelier für textile Kunst hat sie sich in den 70-er Jahren einen Namen in der Fachwelt weit über ihre heutige Heimatstadt hinaus gemacht hat.
Die noch immer sportliche Urgroßmutter (schwimmen und Fahrrad fahren) und das Tagesgeschehen aufmerksam verfolgende Kulturschaffende (»Spiegel« lesen) ist beseelt von dem Wunsch, »ihrer« Kunst wieder den Stellenwert zu verschaffen, den die Fertigkeit des Bildwirkens über Jahrhunderte hinweg in Frankreich, in China oder in Lateinamerika hatte. Und dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Denn besonders geärgert hat sie sich über die Aussage eines früheren Museumsdirektors aus Nürnberg, der lapidar feststellte: »Gobelin – das Thema ist mega-out«. Und so tritt sie massiv dafür ein, dass neben aller Modernität nicht die »wichtigsten Instrumente des Menschen, nämlich seine Hände und das, was damit geschaffen werden kann«, verkümmern. Deshalb wehrt sie sich auch gegen Einwände, wie etwa den, man brauche heutzutage doch keine »niedlichen Staubfänger« und textile Dekorationsgegenstände mehr. Sie widerspricht der These von der »Befreiung der Kunst« und sieht es keineswegs als Nostalgie an, wenn man sich mit vergangenen Zeiten, deren Produkte und Künstlern beschäftigt.
Und so ist in Erika Steinmeyer über viele Jahre ein Projekt herangereift, für dessen Realisierung sie nun im Alter endlich Zeit gefunden hat: Zusammen mit dem renommierten Produzenten Günter Schwank entstand in dessen Studio in Nürnberg-Schniegling eine multimediale Diaschau unter dem Titel »Die Kunst des Bildwirkens – Ein Versuch«. Mit beeindruckenden Bildern und fundierten Kommentaren führen die beiden in eine fast vergessene Welt ein, die es verdient hat, wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt zu werden.
Beginnend mit Dias aus den Werkstätten »Les Gobelins« im Paris des Ludwig XIV., dem »Sonnenkönig«, zeigt Erika Steinmeyer Tapisserien von Weltruf. Sie wechseln sich ab mit Beispielen moderner Künstler und Designer. Sie beweisen, dass Textilkunst überhaupt nichts mit der landläufigen Meinung von niedlicher Frauenhandarbeit zu tun hat. Denn einst war die Bildwirkerei eigentlich ein Männerberuf, der harten körperlichen Einsatz erforderte. Spuren dieses »Handwerks« lassen sich bis in die Prähistorie verfolgen: Erika Steinmeyer präsentiert Funde aus Syrien, Peru und der Wüste Taklamakan an der zentralasiatischen Seidenstraße. Sie kann anschaulich beweisen, dass es sich bei der Bildwirkerei um eine der frühesten Handfertigkeiten der Menschheit überhaupt handelt – so alt wie das Körbe-Flechten, das Stoffe-Weben und das Töpfern. Sie nimmt die Betrachter mit auf eine Zeitreise durch fremde Kulturen, erklärt ungewöhnliche Zusammenhänge und zeigt, welche Arbeit dahinter steckt, alte Gobelins zu restaurieren, ihnen wieder Leben und Farbe einzuhauchen.
Und da versteht man sie plötzlich, ihre Frage nach der »Jetztkunst« und die Angst, man könne vergessen, wie viel Kostbares die Bildwirkerei hinterlassen hat und welchen Schatz man da hüten und pflegen muss. Ihre große Hoffnung ist es daher, dass wieder mehr junge Künstler Spaß daran finden, ihre Ideen auf handwerkliche Art zu verwirklichen. Sie setzt auf Sponsoren und Mäzene, damit wieder sakrale und profane Tapisserien Räume schmücken und veredeln. »Mega-in« wird die Kunst des Bildwirkens trotzdem so schnell nicht werden. Das weiß auch Realistin Erika Steinmeyer. Aber dass sie nicht ganz »mega-out« wird, dafür haben sie und Günter Schwank mit ihrem Projekt gesorgt.
Karin Jungkunz
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Information
Wer Interesse an der multimedialen Diashow hat, wendet sich an: mavies studios, Günter Schwank Schnieglinger Straße 166, 90425 Nürnberg Die DVD wird innerhalb weniger Tage per Post zugesandt. Kosten: 25,- Euro (DVD) plus 2,- Euro Versandkosten (Porto + Karton)