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Beim Klettern werden Glückshormone frei

Monika Fischermeier an der Kletterwand: In 16 Metern Höhe werden nicht nur die Menschen unten kleiner, sondern auch so manche Sorgen und Grübeleien.

Wer die Halle der Nürnberger Firma Bambule im Sandreuther Industriegebiet betritt und noch nie geklettert ist, ist erst einmal überwältigt: Die steile Wand geht schwindelerregende 16 Meter in die Höhe – und ganz oben wartet außerdem ein Überhang darauf, bezwungen zu werden. 

Viele festgeschraubte Griffe in bunten Farben weisen unterschiedliche Wege nach oben. Leise Zweifel kommen auf, ob man das als Ungeübter überhaupt jemals schaffen kann.

Maria Ankenbrand nimmt mit fünf weiteren Interessierten an einem Senioren-Kletterkurs teil: An zwei Abenden in je dreieinhalb Stunden lernt man die »Basics« und soll dann fähig sein, die Wand im Zweier-Team Schritt für Schritt zu bewältigen.

»Ich habe in den Nürnberger Nachrichten von dem Angebot gelesen«, sagt Maria Ankenbrand, »das war so toll beschrieben, da wollte ich es ausprobieren.« Der erste Versuch endet in sechs Metern Höhe, doch die drahtige Frau gibt nicht auf. Beim nächsten Aufstieg kommt sie schon an die Zwölf-Meter-Marke. Wichtig ist für sie, ihre Höhenangst zu überwinden. Nicht nach unten schauen, sich voll auf die Route und den nächsten Schritt konzentrieren – mit diesen Tipps von Trainerin Monika Fischermeier schafft es die Teilnehmerin schließlich.

Die Ausrüstung gibt’s zum Leihen

Fischermeier ist ausgebildete Klettertrainerin beim Alpenverein. Die 70-Jährige weiß genau, worauf es ankommt: »Klettern ist keine Sache des Alters, sondern der Fitness, der Motivation und der Konzentration.« Ihr gefällt an dem Sport besonders, dass er generationenübergreifend ist. In der Halle üben alle Altersgruppen – von kleinen Kindern bis hin zu älteren Semestern. Die notwendige Ausrüstung – Gurt, Seil, Sicherungsgerät und Schuhe – kann man bei Bambule gegen Gebühr leihen. Die Kleidung sollte leicht und sportlich sein, steife Jeans sind ungeeignet.

Als erstes lernt man in der Sandreuther Halle, wie man richtig sichert. Denn geklettert wird immer nur zu zweit: Einer erklimmt die Wand, der andere sichert mit dem Seil. Gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage – und das muss erst einmal wachsen in der Seniorengruppe. Denn die Teilnehmer haben sich zuvor nicht gekannt, sie sehen sich beim Trainingsbeginn zum ersten Mal.

Monika Fischermeier zeigt, wie man das Sicherungsgerät am Seil bedient, den Gurt anlegt und den Knoten richtig knüpft. Sie erklärt, dass man mit den modernen Sicherungen kaum mehr etwas falsch machen kann. Die erfahrene Sportlerin räumt die Befürchtung aus, dass der Sichernde die Kontrolle über das Bremsseil verlieren könnte. 

Klettern ist gelenkschonender

Wenn alle ihre Kletterschuhe angezogen haben, kann es losgehen. Die Trainerin war früher eine begeisterte Bergsteigerin, doch um das Jahr 2000 bekam sie stärkere Knieprobleme. Sie beschloss, auf das gelenkschonendere Klettern umzusteigen. Hier kommt die Kraft hauptsächlich aus dem Rumpf. Hände und Füße sind nur für den Halt wichtig, nicht aber, um sich damit hochzuziehen. Die Körperspannung ist entscheidend.

Ihre Co-Trainerin Maria Mrazkova hat zwei künstliche Kniegelenke: Einen Monat nach der Operation hat sie wieder mit dem Klettern begonnen. »Am Anfang war es nicht so einfach«, erinnert sich die 74-Jährige, »aber wenn man es will, dann schafft man es auch. Klettern macht den Kopf frei, die täglichen Sorgen sind ausgeblendet.« 

Das bestätigt auch Fischermeier: »Man schreibt dem Sport eine therapeutische Wirkung auch bei Depressionen zu.« Das Gefühl, etwas geschafft zu haben, und das Freisetzen von Glückshormonen stellt sich ganz oben an der Hallendecke offenbar ganz von selbst ein. Und es ist nie zu spät für diese körperliche Aktivität: Co-Trainerin Mrazkova hat erst vor sieben Jahren damit begonnen.

Aus den Kursen bildete sich eine Klettergruppe

Doch ist es nicht gefährlich, den im Alter steifer werdenden Körper mit dem Hochkrabbeln an der Kletterwand zu traktieren? Im Gegenteil, meinen die beiden Trainerinnen, Klettern fördert die Beweglichkeit – sowohl die körperliche wie auch die geistige. Denn beim Aufstieg ist Konzentration auf die weiteren Schritte gefordert, die Überlegung, welche Griffe man als nächstes macht. Trotzdem: Ganz ungefährlich ist der Sport nicht, zumindest ein gewisses Risiko-Bewusstsein sollte jeder mitbringen.

Acht Seniorenkurse hat Ingenieurin Fischermeier bereits durchgeführt. Zu 95 Prozent waren es Teilnehmer ohne Vorkenntnisse. Daraus hat sich eine Klettergruppe gebildet, die sich alle zehn Tage bei Bambule zum gemeinsamen Sport trifft. Schließlich soll das Klettern keine einmalige Aktion sein, sondern den Alltag begleiten – als eine Möglichkeit, sich fit und geschmeidig zu halten und dabei Glück zu empfinden.

Im Durchschnitt waren die Teilnehmer zwischen 59 und 75 Jahre alt. Es gibt keine Altersgrenze, sagt die Trainerin. Sie berichtet von einem 89-Jährigen, der noch regelmäßig die Wand hochsteigt: »Klettern ist nicht nur ein Sport, sondern auch eine Lebenseinstellung.«

Text: Hartmut Voigt
Fotos: Michael Matejka

Information

Wer an einem Senioren-Kletterkurs interessiert ist, kann sich per E-Mail bei der Sandreuther Kletterhalle melden: info@bambule-kletterhalle.de, Stichwort: »Ü60« oder per Telefon: 0911 / 94009809.

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