Hunderttausende sind vor Not, Elend und Verfolgung auf der Flucht. Ihre Heimat verlassen zu müssen, aller Wurzeln entrissen zu werden und eine ungewisse Zukunft vor sich zu haben, trifft ältere Menschen besonders hart. Eine davon ist Mamojan Zakas aus Georgien – aber sie trotzt ihrem Schicksal, und das mit fast 60 Jahren.
von Herbert Fuehr
»Ich fühle mich hier wie eine Königin«, sagt Mamojan Zakas, und ein Lächeln hellt ihre sonst verschlossene Miene auf. Ihr Königreich, das sind 14 Quadratmeter Wohnraum in einer Container-Siedlung für Flüchtlinge in der Michael-Vogel-Straße in Erlangen. 14 Quadratmeter, die sich die 59-Jährige, die trotz ihres Alters eine Flucht aus der Heimat gewagt hat, mit ihrem erwachsenen Sohn teilen muss. Dennoch ist sie glücklich hier. Und man kann das verstehen, wenn man die Leidensgeschichte dieser Frau hört, die aus einer einst angesehenen und reichen Familie stammt und der nach Repressalien, Bedrohung und Verfolgung durch staatliche Organe sowie nach schikanösen Behandlungen während der Flucht buchstäblich nur das nackte Leben geblieben ist.
Jetzt lebt sie erst einmal in Sicherheit. Sie schwärmt von der guten Betreuung durch die professionellen Helfer der Arbeiterwohlfahrt und durch die unermüdlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuung in Erlangen e.V., der Verein nennt sich kurz EFIE. Die 59-Jährige ist glücklich in ihrem neuen, sehr bescheidenen Zuhause: Es ist einer der von der Stadt zur Verfügung gestellten 26 Container mit je zwei Betten, zusammengefasst zu zwei Gebäuden. Je eine Küche sowie Gemeinschaftstoiletten und -duschen gehören dazu.
Spät die Wurzeln verloren
Das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Ethnien und Religionen klappe prima, versichert Mamojan Zakas, die von allen »Zaira« genannt wird. »Manchmal kommt es zu Diskussionen wegen der Sauberkeit«, aber das kenne man auch aus anderen Wohngemeinschaften. Sie lobt die Verpflegung: Es gibt regelmäßig Essenspakete (die allerdings nach vielfältiger Kritik auch in Bayern demnächst abgeschafft und durch Geldzahlungen ersetzt werden) und ein kleines Taschengeld. »Und wir können hier auch selbst kochen.«
Noch eines kommt hinzu, was ihr das Leben erleichtert: »Zaira« hat zwar relativ spät alle Wurzeln verloren und in einem völlig fremden Land ein ganz neues Leben anfangen müssen, doch ihr stehen in Fragen des täglichen Lebens nicht nur die von der Stadt beauftragte Awo und der Verein EFIE zur Seite. Sie hat auch eine neue Freundin gefunden, die sie mit Rat und Tat begleitet. Es ist die 72 Jahre alte Monika Meinig, die perfekt Russisch spricht und längst nicht nur als Dolmetscherin fungiert.
Dass sie so gut Russisch kann, liegt an ihrer Herkunft: Sie ist in der DDR aufgewachsen, wo Russisch für die meisten Schüler die erste Fremdsprache war. Jahrzehnte ist das her. Sie habe viel vergessen, erzählt die 72-Jährige. Um für das Übersetzen gerüstet zu sein, büffelte sie erneut. »Ich wollte nicht nur radebrechen, sondern mich verständlich machen und auch ganz genau verstehen, was die Leute ausdrücken wollen.«
Bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit lernte sie Mamojan Zakas aus Georgien kennen. »Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und sind Freundinnen geworden.« In den vielen Gesprächen hat Monika Meinig nicht nur viel über das Schicksal ihrer neuen Freundin erfahren, sondern auch ihr Russisch verbessern können.
Meinig bittet zu Beginn des Gesprächs um etwas Geduld: Erst will ihre georgische Freundin den Gästen etwas anbieten: Kaffee, Obst, Kuchen, denn »das gehört sich so«. Sie erklärt auch, weshalb Zaira meist ernst und verschlossen wirkt: Die Unsicherheit, ob sie ein dauerhaftes Bleiberecht bekommt, liege wie ein Schatten auf ihr.
Mamojan Zakas‘ Familie wurde verfolgt, daran besteht kein Zweifel, so wie sie ihr Schicksal schildert. Sie berichtet: Der Vater war einst ein angesehener Mann und lebte mit Frau und Kindern in einer komfortablen Wohnung in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Doch die Familie gehörte zur religiösen Gemeinschaft der Jesiden (oder Yeziden), die schon in der bis zum Jahr 2003 dauernden Präsidentschaft des einstigen Sowjet-Außenministers Eduard Schewardnadse in Georgien diskriminiert wurden. Die staatlichen Schikanen, Repressalien und Gewaltakte, erzählt »Zaira«, seien immer schlimmer geworden. »Mein Mann und meine damals 14 Jahre alte Tochter wurden umgebracht.« Ein Schwager sei bei einem Verkehrsunfall gestorben – »Zaira« ist überzeugt, dass auch das Mord war. »Schließlich wurden wir gezwungen, aus unserer Wohnung aus- und in den Dachboden zu ziehen. Dort gab es kein Wasser, keine sanitären Einrichtungen, keine Türen, aber viele Ratten.«
Präsident zerriss den Brief
Drei Jahre hielt sie es dort aus. »Glauben Sie mir, wenn wir eine Bleibe gefunden hätten, hätte ich meine Heimat nie verlassen«, versichert die 59-Jährige. Ihre Bitte um eine Unterkunft, so fährt sie fort, habe sie damals in einem Brief dem Präsidenten überreichen wollen. Doch der habe den Brief zerrissen und auch ihre Papiere an sich genommen.
Im Frühsommer 2012 sah sie nur noch einen Ausweg: die Flucht. Ein westlicher Reporter, der Zeuge der Szene beim Präsidenten geworden war, sei bereit gewesen, ihr zu helfen, sagt sie. Wer noch geholfen habe, das wisse sie nicht, sagt »Zaira«. Wie viele andere Flüchtlinge bleibt auch sie bei der Schilderung der Umstände oft im Ungefähren, vermutlich auch, um Helfer und Angehörige zu schützen.
Nächste Station des Leidenswegs war Polen. »Dort hat man uns ebenfalls sehr schlecht behandelt. Wir bekamen kaum etwas zu essen, und wir mussten die wenigen mitgebrachten Kleider verkaufen, um an Geld zu kommen.« Fünf Monate schlugen sich Mamojan Zakas und ihr damals 22-jähriger Sohn in Polen durch, dann haben beide einen Mann getroffen, der bereit war, sie mit nach Berlin zu nehmen. Von dort aus ging es schließlich im Dezember 2012 in die staatliche Erstaufnahmestelle für Asylbewerber nach Zirndorf und fünf Wochen später in die Unterkunft nach Erlangen.
Nach Polen zurück muss sie nicht, wie es nach EU-Recht eigentlich vorgesehen ist, das hat ihr Anwalt verhindern können. Für »Zaira« ist das ein weiterer Glücksfall. Von Anfang an war sie angetan von dem freundlichen Empfang hier, sowohl bei den Behörden wie auch bei der Bevölkerung. Wohl ein gewaltiger Unterschied zu Polen: »Dort waren alle ruppig, wir hatten kein Geld, aber die Deutschen legen sogar noch etwas drauf, wenn mir in einem Geschäft das Geld nicht reicht.« Hier bekommt sie, die in ihrer Heimat nie richtig schreiben und lesen gelernt hatte, auch einfachen Deutschunterricht: Den bietet die Stadt Erlangen in Kursen an, ebenso lernt sie die Sprache im Montagscafé von EFIE, wo man sich zwanglos trifft, aber eben auch lernt.
Der Sohn hat inzwischen eine Praktikumsstelle gefunden. Seine Mutter wünscht sich sehnlichst, dass zumindest er hier bleiben und eine neue Heimat finden kann. Über ihren Asylantrag ist auch nach über eineinhalb Jahren noch nicht entschieden. Aber »Zaira« gibt die Hoffnung nicht auf: »Ich bete jeden Tag zu Gott, dass ich bleiben darf.«
Zurück nach Georgien will sie auf keinen Fall: Dort, so befürchtet sie, ginge die Verfolgung weiter, außerdem habe sie keine Angehörigen und Freunde mehr: Alle Verwandten haben Georgien verlassen, und »wer von uns noch dort ist, liegt schon im Grab«.