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NürnbergStift will Praxiszentrum für digitale Innovationen werden. Foto: Mile Cindric

Unethisch, unwürdig, inhuman. Zumindest das letztgenannte Attribut müssen Pepper, Care-O-bot, Casero und all die anderen Service-Roboter klaglos hinnehmen, denn menschlich sind sie nun wirklich nicht. Pepper zum Beispiel ist putzige 1,20 m klein, 28 Kilogramm schwer und kommt aus Japan. Seit kurzem begrüßt er Kunden in einem Supermarkt an der Stadtgrenze Nürnberg-Fürth und weist sie zum gewünschten Artikel. Früher hatte man ihn und seine Kollegen Blechkamerad genannt, wobei der Zusatz »doofer« fast nie fehlte. Das hat sich geändert, denn Pepper denkt im Rahmen seiner bisher programmierten Interaktionsbefehle schon ordentlich mit. Dank Sensoren und Software ist der mobile Serviceroboter in der Lage, auf menschliche Sprache, Mimik und Gestik zu reagieren und einfache Kundenfragen zu beantworten.

von Michael Nordschild

Was im Supermarkt putzig ist, führt in Alten- und Pflegeheimen aber leicht zu dem anfangs zitierten Aufschrei. Die Pflege Bedürftiger verträgt sich in den Augen vieler nicht mit kalten Maschinenkörpern, sondern ist dem Mitmenschlichkeitsgedanken verpflichtete Beziehungsarbeit.
Anni hat 24 Jahre als Pflegerin gearbeitet und ist bis zur Rente verschont geblieben von den Berufskrankheiten, die in Heimen die Gesundheit vieler Mitarbeiter zerstören: Schichtdienste, schwere Lasten heben, nonstop auf Trab gebracht werden zwischen den Stationen, Leid lindern und Ruhepol selbst in Stresssituationen bleiben. Was sie nicht so leicht weggesteckt hat, war die in all diesen Jahren wuchernde Bürokratie, denn jeder Handgriff muss heute dokumentiert sein, um in die Leistungsabrechnung einzufließen: »Die Zettelwirtschaft nimmt inzwischen mehr Zeit in Anspruch als die Pflege der Menschen.«

Entwicklung bereitet Sorgen

Willkommen also im deutschen Pflegenotstandsgebiet: 40.000 zusätzliche Fachkräfte brauche die Altenpflege bereits jetzt, rechnet die Gewerkschaft ver.di vor. 200.000 werden laut Deutscher Pflegerat bis 2030 fehlen, und niemand hat bisher einen Plan, woher diese kommen sollen. Zehn Jahre arbeiten Altenpfleger nach Schätzungen des Pflegerats im Schnitt in ihrem Job. Danach streichen sie die Segel. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten liegen laut AOK Bayern um 40 Prozent über dem Durchschnitt aller Arbeitnehmer. Und die Lücke wird größer: Zwei Millionen Pflegebedürftige zählte das Gesundheitsministerium 1999, heute sind es rund drei Millionen. 2050 geht die Bundesregierung von 5,3 Millionen pflegebedürftigen Deutschen aus. Allein im ersten Halbjahr 2017 erhielten 432.000 Versicherte von ihrer Krankenkasse erstmals einen der neu eingeführten fünf Pflegegrade zugesprochen. Das waren 175.000 Menschen mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum, als es nur drei Pflegestufen gab.

Fakt ist: Die Patientenzahl steigt stetig, die Personalkapazitäten wachsen nicht mit. Anwerbeaktionen von ausländischen Fachkräften und Imagekampagnen zur Aufhellung des Berufsbildes werden die Lücke nicht schließen. Deshalb wagt sich die Branche vorsichtig ans große Ganze heran: an Abläufe und Prozesse des Pflegeapparats und auch an heiße Eisen, sprich neue Technik wie Pepper. Digitalisierung heißt das Schlüsselwort, oder: Wo können Automatisierung, Sensorik und Robotik menschliche Arbeitskraft entlasten und Freiraum für wirklich gute Pflege schaffen? Ein heikles Thema, das weiß Michael Pflügner, Leiter der städtischen Alten- und Pflegeeinrichtungen des NürnbergStifts. Denn Technikeinsatz in der Pflege muss nicht nur medizinisch ausgereift sein, sondern auch hohen therapeutischen, ethischen, sozialen und rechtlichen Standards genügen. Datenschutz muss ebenso garantiert sein wie die einfache Bedienbarkeit durch Pflegekräfte, denn ohne Akzeptanz von Patienten und Personal ist die Diskussion über billige Blechsklaven, Arbeitsplatz-Vernichter und unersättliche Datenkraken programmiert.

Auf dem Markt für neue Pflegetechnik hat sich dagegen noch wenig getan. Vieles ist intransparent, beherrscht von Insellösungen, Prototypen und Nischenprodukten. Typische Gründerzeiten sind das, deshalb sieht Pflügner Handlungsbedarf: »Wir gehen im NürnbergStift in Richtung Praxiszentrum für Pflegeinnovationen und wollen testen, wie man Mensch und Technik unter den Aspekten Menschlichkeit, Mitarbeiterbedürfnisse und Akzeptanz zusammenbringt.«  Ob Roboter oder elektronische Helfer, alle Systeme müssen im realen Pflegealltag erst einmal zeigen, was Maschinen besser können und ob sie menschliche Arbeitskraft wirklich freimachen für gute Pflege, also Zuwendung, Zeit zuzuhören und sich Patienten individuell zu widmen.
Zeitfresser Nummer 1 ist heute sicher die Zettelwirtschaft. Inzwischen wird zwar auch in vielen Heimen fleißig elektronisch dokumentiert, aber es fehlt die Vernetzung mit ambulanten Einrichtungen, Krankenhäusern und Ärzten. Und nicht zuletzt werden zwar jede Menge Daten erfasst, aber deren Auswertung bezüglich Qualität und Wirksamkeit der Maßnahmen hinkt hinterher. Beispiel Logistik und Materialwirtschaft: Können Maschinen nicht schwere Lasten leichter heben und effektiver schleppen? Notieren ihre Elektronengehirne nicht genauer den Hilfsmittel- oder Nahrungsbedarf und die optimalen Wegstrecken zu den Patienten? Melden dauerhaft aktive Sensoren Notfälle nicht schneller als die wenigen Mitarbeiter der Nachtschicht auf ihren notgedrungen sporadischen Kontrollgängen?

Erste Prototypen im Einsatz

Digitale Helfer wie der autonom navigierende Pflegewagen Casero, der automatisch Bestand und Verbrauch von Pflegeutensilien meldet, rollen bereits als Prototypen. Und es gibt Peppers Verwandte, etwa die Roboter-Kuschelrobbe Paro, die in der Demenztherapie eingesetzt wird. Oder elektronische Exo-Skelette zum Training des Bewegungsapparates, intelligente Kleidung zur Überwachung von Körperfunktionen, Pflegebetten, die elektrisch die Umlagerung von Patienten unterstützen und Versuche mit speziellen Computerspielen und Brillen für virtuelle Realitätserlebnisse zur Patientenmobilisierung. Bricht die digitale neue Pflegewelt damit schon morgen an?

Definitiv nicht, außer in den Hochglanzprospekten der Hersteller, denn es gibt noch viel zu erforschen und zu erproben. Zu gering ist der bisher in  Soft- und Hardware gegossene Funktionsumfang von Pepper und Co. im Vergleich zu den Anschaffungskosten, zu komplex die Navigation in realen Alltagsumgebungen. Und noch viel zu wenig erforscht die Interaktion zwischen emotional agierenden Menschen und der Aufgaben abarbeitenden Maschine. Das sieht auch Birgit Graf so, die beim Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in der Nutzer- und anwendungsorientierten Servicerobotik arbeitet: »Mobile Geräte, die Transportfunktionen haben und vernetzt sind, werden sicher bald kommen. Aber wir sind noch Jahrzehnte vom Heinzelmännchen entfernt, das den ganzen Haushalt schmeißt.«

Unbestritten ist aber, dass Digitalisierung und Automatisierung in der Pflege angesichts der Personal-, Finanz- und Effizienzprobleme im Gesundheitssystem fortschreiten müssen und auch werden. Bleibt die Frage, welche Systeme und Geräte wirklich taugen, um den Weg in die Praxis finden und den hehren Anspruch von der guten oder zumindest besseren Pflege einzulösen. Als Experimentierfeld für Innovationen eignet sich das Altenheim sicher am wenigsten, denn dort geht es um den Menschen. Firmen und Forschern will Pflügner nicht allein überlassen, wie die Zukunft aussieht: »Wir als Pflegefachleute müssen Antworten finden. Und ich gestalte lieber, als dass uns eine Entwicklung überrollt.«

Eine Antwort

  1. Obwohl die Digitalisierung und Automatisierung in der Pflege fortschreiten muss, um den Herausforderungen im Gesundheitssystem gerecht zu werden, muss auch bedacht werden, dass es um den Menschen geht. Die Menschen brauchen auch andere Menschen zum reden etc. Wenn Roboter das Pflegepersonal jedoch entlasten könnte, haben diese wiederrum mehr Zeit für das Zwischenmenschliche

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