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Kurt Sourisseaux, Marita Kral und Hannes Seebauer habern gerne vor jungem Publikum gespielt. FOTO: Hans-Joachim Winckler  NN
Kurt Sourisseaux, Marita Kral und Hannes Seebauer habern gerne vor jungem Publikum gespielt. FOTO: Hans-Joachim Winckler NN

So wirken die Eindrücke von einer Nachmittagsveranstaltung im Stadttheater Fürth, zusammengerufen von der dortigen Theaterpädagogik und vom Kulturtreff der Senioren. Sie fand im letzten Jahr statt, und sie hätte dreimal verkauft werden können, wie es hieß. Es raunte heftig und Kaffeegeschirr klapperte, als die einstigen Operettenstars Marita Kral und Kurt Leo Sourisseaux sowie Hannes Seebauer vom Nürnberger Sprechtheater Luftballons mit Anekdoten und Reminiszenzen steigen ließen. Und wie einst im Lebensmai gab es hinterher Autogrammwünsche.
Wie aber sind sie zusammengekommen, die Theaterpädagogen, die sich um das jüngste Publikum kümmern, und die Seniorenbeauftrage der Stadt Fürth mit ihrer Zielgruppe im gegenläufigen Bereich? Der vermittelnde Begriff lautet: Schulplatzmiete. Fast alle, die heute theaterbegeisterte Senioren sind, haben ihre ersten Erfahrungen mit der Bühnenwelt als Schüler gemacht. Denn da gab es dieses Angebot, für wenig Geld nicht nur den Klauen der Erziehungsberechtigten zu entrinnen, sondern auch noch tolle Geschichten zu erleben, mit oder ohne Musik, doch stets mit lebendigen Akteuren zum Bejubeln, zum Ausbuhen, je nachdem. Theater hat etwas Magisches. Und das Gespür für diese Magie haben viele Menschen aus der Jugend ins Alter gerettet.
Schulplatzmiete ist ein ziemlich singulärer Begriff für ein Abo-System in Nürnberg und Fürth. Bis 1970 haben die Theaterhäuser beider Städte ja zusammengearbeitet, wobei Fürth eher das Mekka der leichten Muse war, der Operette, der Komödie. 1949 als man sich gerade aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufrappelte, hat Georg Uhlherr, der Künstlerische Betriebsdirektor der  Städtischen Bühnen, die Schulplatzmiete ins Leben gerufen. Damals haben die Eintrittskarten für die einzelnen Aufführungen ein paar Pfennige gekostet. Schulamt und Kulturamt mussten kooperieren. Und der kulturelle Bildungsauftrag der Schule wurde durch szenisches Anschauungsmaterial unterfüttert. Ähnliche Projekte gab es auch andernorts. Dort hießen sie Schülerabo oder so. »Schulplatzmiete« jedoch ist ein originär Nürnberger/Fürther Begriff.
»Die Schulplatzmiete schließt die Herzen der Kinder und Jugendlichen für das Theater auf«, sagt Kurt Leo Sourisseaux, das
Urgewächs der Nürnberger Operette. Er kam schon Anfang der 1950er Jahre als Buffo in die Stadt und avancierte später zum
Oberspielleiter der Operette. Dieses Genre tut sich heute schwer. Nach dem Krieg aber waren die Theater in Nürnberg und Fürth tatsächlich Schwerpunkte der Operettenpflege in Deutschland. Es gab sogar Uraufführungen moderner Operetten. Und »Souri«, wie sein Spitzname lautet, war immer mittendrin.
»Ich habe nie Angst gehabt, wenn das Theater voller Schüler war«, sagt er. »Die Stimmung mit einem erwachsenen Publikum
war oft brav. Wir wussten zum Beispiel, dass es montags eine Abonnenten-Gruppe gab, die wir ›die Einarmigen‹ nannten. Denn die haben kaum geklatscht. Mit Schülern war das ganz anders. Die waren offen. Die haben zwar auch mal freche Geräusche gemacht. Aber sie waren ebenso stark zu begeistern.«
Wenn man die Veranstaltung in Fürth miterlebt hat, konnte man spüren, wie lange so eine Begeisterung anhält. Begeistert
erzählt Sourisseaux seinerseits von einem Einsatz in einem Kindertheaterstück. Er hat es genossen, wie sein Publikum im Parkett mitgespielt hat. Ebenso hat er es freilich genossen, wenn sich jugendliche Damen mit Autogramm-Büchern am Bühnenausgang drängelten, oder gar ein Blümchen in der Hand hielten. In der guten alten Zeit war auch Stadttheater Star-Theater. »Man hat uns auf den Straßen erkannt«, sagt Sourisseaux.
»Bei uns vom Sprechtheater war der Andrang am Bühnenpförtchen nicht ganz so groß«, meint Hannes Seebauer. Er ist 1975
nach Nürnberg gekommen und hat das Repertoire rauf und runter gespielt. »Es gab bei einem jungen attraktiven Kollegen schon mal ein Briefchen hinter seinem Scheibenwischer. Aber wir konnten uns des Andrangs erwehren.« Er erinnert sich allerdings, wie er während seiner Ausbildungszeit in Wien sich selbst einmal den Trubel um Zarah Leander an der Pforte angeschaut hat. Nur ein einziges Mal hat er sich ein Autogramm geben lassen – von Marcel Marceau, dem großen Pantomimen, dessen Auftritt ihn überwältigt hatte.
Auch für Seebauer ist die Schulplatzmiete eine wichtige Einrichtung, um junge Menschen an das Theater heranzuführen. »Als ich nach Nürnberg kam, waren die jungen Zuschauer manchmal noch ein wenig aufmüpfig. Das war wohl eine Spätfolge von 1968. Einmal musste ein Kollege sogar unterbrechen und zur Ruhe mahnen. Aber bei einer guten Vorstellung haben wir sie immer gekriegt. Schüler sind ein aufmerksames Publikum – selbst heute in den Zeiten von Fernsehen und Computer.« Hannes Seebauer ist lange im Ruhestand, aber im Bayerischen Rundfunkt lässt er seine Stimme ertönen und auf Werner Hoffmanns »Bühne« hat er viele Rollen gespielt. In Fürth hat auch er sein Fan-Grüppchen um sich versammelt.
Trotzdem besteht ein Unterschied, ob man mit einem eher nüchternen Schauspieler oder einem enthusiasmierten Mitglied des Opern- oder gar Operettenensembles spricht. Die Musikbühne scheint ihre Akteure anders davonzutragen. Marita Kral, seit 1970 als Soubrette in Nürnberg, gerät gleichsam ins Leuchten, wenn sie von ihren Traumrollen als Eliza in »My Fair Lady« oder Adele in »Die Fledermaus« erzählt. Sie hat mit Souri zusammen gespielt, und die beiden steigern sich gern in einen Anekdoten-Rausch.

Marita Kral sagt: »Es ist toll, wenn die Schule das Theater schmackhaft machen kann. Und wenn aus Schülern schließlich Großeltern werden, die ihre Enkel wieder mit ins Theater nehmen. Natürlich sind Schüler manchmal lauter als andere Zuschauer. Aber sie lachen auch lauter und klatschen lauter, und das brauchen wir auf der Bühne. Mein großartigstes Erlebnis war in einer Kindertheater-Produktion von ›Das tapfere Schneiderlein‹. Ich habe die Ziege gespielt, die nicht fressen wollte. Und plötzlich herrschte mich eine kleine Stimme an: Du bist eine blöde Sau! Das Mädchen habe ich überzeugt.«
Nach der Begegnung mit ihren Fans in Fürth war Marita Kral überwältigt und erstaunt: »Was die Leute noch alles wissen! An
welche Details die sich erinnern können. Das habe ich längst vergessen. Aber so nachhaltig kann Theater eben sein.« Und weil sie es, obwohl längst Rentnerin, nicht lassen kann, tingelt sie unermüdlich in Produktionen der Fürther »Comödie«.
Damit es die Schüler ebenso wenig lassen können, kümmern sich heute die Pädagogin Anja Sparberg und Brigitte Schuck in
der Vermittlung um die Schulplatzmiete am Staatstheater Nürnberg. Die alte Institution gibt es weiterhin. Rund 150 Schulen aller Kategorien beteiligen sich daran. Etwa 42.000 Karten werden pro Spielzeit verkauft. Der Eintrittspreis für Schüler beträgt derzeit acht Euro.
»Offensichtlich ist die Anziehungskraft des Theaters mindestens genauso stark wie der Magnetismus von Leinwandstars«, sagt Theaterpädagogin Anja Sparberg. »Die Schüler kommen weiter in unsere Vorstellungen. Sie sind aufmerksam, diskutieren und laufen in den Pausen nicht weg. Wir haben die augenblickliche Schülergeneration keinesfalls verloren. Und es ist doch sehr lebendig, wenn sich an manchen Abenden vor Aufführungsbeginn 600 Schüler auf dem Theaterplatz tummeln.«
Wichtig ist für sie die Beratung der Lehrer, welche Stücke für welches Alter angemessen sind. Die Schüler machen sich dann
schon selbst das Ranking ihrer Lieblingsaufführungen. Momentan ist die Hitchcock-Adaption »39 Stufen« in den Kammerspielen besonders nachgefragt. Hits in den letzten Jahren waren »Die Räuber« und »Kabale und Liebe« – der gute alte Schiller in zeitgemäßer Inszenierung. Wenn da der Vorhang fällt, behält man den Kopf voll. Und das hält womöglich jahrzehntelang an. Damit man eines Tages im Seniorenclub von 2060 die Stars von damals ordentlich anschwärmen kann.
Herbert Heinzelmann ; Fotos: NN-Archiv

Post Scriptum:

Für diesen Artikel habe ich im März mit Kurt Leo Sourisseaux telefoniert. Ich erreichte ihn auf seiner letzten Bühne: einem Seniorenstift in der Nähe des Nürnberger Tiergartens. Als er abhob, war seine Stimme ganz klein und schwach. Je länger wir über das Theater sprachen, desto kräftiger wurde sie. »Ich mache hier manchmal noch Lesungen«, sagte er. »Du musst
mal vorbeikommen!« Das haben wir verabredet. Aber dann las ich in der Zeitung, dass der ehemalige Oberspielleiter der
Nürnberger Operette am 23. April still gestorben ist. Er wurde 87 Jahre alt. Und er war ein Komödiant, dem die Bretter der Bühne tatsächlich die Welt bedeuteten. Souri war kein Revolutionär des Theaters. Er wollte sein Publikum perfekt unterhalten. Das ist ihm gelungen. Letzter Abtritt. Großer Applaus.

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