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Büchertipps für den Sommerurlaub

Leseempfehlungen für den Urlaub oder schöne Stunden in Balkonien von Redakteurinnen des Magazins sechs-und-sechzig.

cover 7 jahre mallorca017Yasmina Reza: »Glücklich die , Glücklichen«, Hanser Verlag, Berlin 2014, € 17,90
Abgründiger Alltag
»Das haben wir nicht kommen sehen. Wir haben nicht gemerkt, wie die Situation kippte.« Das sagt verzweifelt Pascaline Hutner, eine der Protagonistinnen in Yasmina Rezas neuem Buch »Glücklich die Glücklichen«. In 18 Kapiteln lässt die Autorin jeweils eine andere Person zu Wort kommen, ein persönliches Ereignis innerhalb des großen Lebensdramas erzählen. Bei Pascaline Hutner, einer der auftretenden Figuren, geht es um den Sohn Lionel, der als Jugendlicher nach und nach die Identität einer von ihm verehrten Sängerin annimmt, bis er schließlich in einer Nervenheilanstalt landet. Die Freunde und Bekannten des wohlsituierten, angesehenen Ehepaars dürfen von diesem beschämenden Drama nichts erfahren. Aber auch bei den anderen ist nichts so heil wie es aussieht: In dieser vom finanziellen Wohlstand bevorzugten (französischen) Mittelschicht geschieht so manches, was öffentlich nicht gesagt wird. Rezas Personen sind so, wie wir eigentlich alle: mit alltäglichen Problemen, dunklen Flecken in unserem Leben, Ängsten und geheimen Gedanken. Die Sätze in diesem Buch sind kurz und genau, grotesk und witzig. Der Leser eilt gespannt von einer Geschichte zur nächsten und reibt sich dabei immer wieder am Titel des Buches »Glücklich die Glücklichen« (entliehen einem Gedicht von Jorge Luis Borges), bis er am Ende des Romans fast alle handelnden Personen bei einer Beerdigung wieder trifft. So runden sich die Einzelteile zum Ganzen. Yasmina Reza, französische Schauspielerin und Autorin, ist auch hierzulande eine oft gespielte Dramatikern. Ihr Theaterstück »Gott des Gemetzels«, international gefeiert und prominent verfilmt, war auch am Nürnberger Schauspielhaus viele Monate lang ausverkauft. Reza trifft offenbar den Ton unserer Zeit.
Brigitte Lemberger
Christine Burger: »7 Jahre Mallorca«, € 16,90,
Die verflixten sieben Jahre Mallorca
Mittlerweile ist Christine Burger 78 Jahre alt und spielt regelmäßig im Kaffeehausladen in der Wielandstraße in Nürnberg Klavier. Das hilft ihr ebenso wie der Verkauf von Modeschmuck in Altenheimen, ihre kleine Rente aufzubessern. Jetzt hat die frühere Besitzerin eines Schmuckgeschäfts auf Mallorca über ihr Leben auf der Sonneninsel geschrieben, das auch viele Schattenseiten kannte. Die Lektüre dieses rund 300 Seiten dicken Erlebnisberichts ist unterhaltsam. Er zeigt, dass ein Urlaubsparadies für diejenigen, die sich dort dauerhaft niederlassen, seinen ganz besonderen Reiz hat. Aber es kann auch eine große Herausforderung sein, den Alltag dort zu meistern. Christine Burgers Schilderungen lesen sich wie ein Krimi. Am Ende steht die Autorin mit leeren Händen da. Doch ihr Neuanfang in der alten Heimat Franken gelingt trotz des fortgeschrittenen Alters. Das Buch wurde im Selbstverlag publiziert. Man kann es direkt bei der Autorin bestellen.
Petra Nossek-Bock
Maike Maja Nowak:, »Wie viel Mensch braucht ein Hund. Tierisch menschliche Geschichten«, Wilhelm Goldmann Verlag, München 2013, € 17,99
Hunde verstehen
Wer einen Hund besitzt oder Hunde ganz allgemein schätzt, sollte sich dieses kluge uch nicht entgehen lassen. Maike Maja Nowak, die als anerkannte Hundetrainerin das von ihr ins Leben gerufene Dog-Institut in Berlin leitet, setzt an die Stelle von Befehl und Unterordnung im Umgang mit Hunden auf Kommunikation. In ihrem jüngsten Buch »Wie viel Mensch braucht ein Hund« lässt sie ihre Leser anhand von Beispielen aus ihrem Alltag als Trainerin miterleben, mit welchen Methoden sie gestörten, sogar stark traumatisierten vierbeinigen Kunden wieder zu einem erfreulichen Hundeleben verhilft. Dass sie dabei ebenso intensiv auf eine Verhaltensänderung bei den Besitzern hinwirkt, ergibt sich aus ihrer Philosophie. So erwartet sie vom verständigen Menschen den Respekt vor dem Hunde-Individuum, das seine angeborenen Fähigkeiten und Instinkte in der menschlichen Umgebung vielfach unterdrücken muss. Das Wissen um das Wesen des Hundes hilft, Fehlverhalten wie Aggression oder Ängstlichkeit kommunikativ, sozusagen im Gespräch mit dem Tier, in ein ruhiges, selbstbewusstes Verhalten umzusteuern. »Hunde verdienen«, so schreibt sie einmal, »im Wesentlichen mit uns leben zu dürfen, wie sie selbst miteinander leben: in einer sozialen Struktur aus Regeln, Grenzsetzungen, Zuneigung und Freiheit.« Maike Maja Nowak hat ein sachkundiges Buch geschrieben, das dazu beitragen kann, das Zusammenleben von Mensch und Hund zu einem beiderseitigen großen Gewinn werden zu lassen.
Brigitte Lemberger
Marie-Sabine Roger: »Das Leben ist ein listiger Kater«, Atlantik Verlag, Bremen 2014, € 19,99,
Respekt Glücksache
Jean-Pierre Fabre, Witwer, 67, liegt mit schweren Knochenbrüchen in einem Pariser Krankenhaus und kann sich nicht erinnern, wie ihm das passiert ist. Er erfährt, dass er nachts in die Seine gestürzt ist und ein junger Mann ihn herausgezogen hat. Sein Retter kommt ihn besuchen: ein junger Student, der sich als Stricher seinen Lebensunterhalt verdient. Außerdem taucht täglich ungebeten eine 14-jährige Mitpatientin in seinem Zimmer auf, die sich »mal kurz« seinen Laptop ausleiht. Ein junger Polizist gehört ebenfalls zu den Besuchern, der eigentlich nicht in die Lebenskreise des älteren Herrn passt, Verwandte erscheinen und sondern den üblichen Krankenzimmer-Smalltalk ab, Ärzte und Schwestern geben sich die Tür in die Hand – und lassen sie beim Verlassen des Zimmers meistens offen stehen. Der Patient, im normalen Leben ein Individuum mit Ecken und Kanten, kommentiert ironisch, dass er in der Klinik »das Becken in Zimmer XY« ist. Er registriert: Technik einwandfrei, Respekt Glücksache, Mitgefühl gegen Aufpreis. Ohne in Selbstmitleid zu versinken, klar und knapp in Sprache und Gedanken, wie er offenbar immer war,
erinnert er sich an Episoden seines Lebens und begreift, dass er so manches hätte besser machen können. Aber er hat Lust weiterzuleben und hundert Jahre alt zu werden. Und wie auf den Pfoten eines listigen Katers kommt das Leben verstohlen zu ihm zurück. Marie-Sabine Roger, eine in Kanada lebende Französin, die sich mit »Das Labyrinth der Wörter« einem internationalen Publikum vorgestellt hat, ist mit ihrem neuen Roman ein ebenso leichtfüßiges wie tiefsinniges Buch geglückt, an dessen Sprache man sich erfreut und die Handlung bis zur letzten Seite gespannt verfolgt.
Brigitte Lemberger
Bethan Roberts, »Der Liebhaber meines Mannes«Kunstmann Verlag, München 2013, € 19,95
Tragische Liebe
Tom, ein gut aussehender Polizist, der im englischen Seebad Brighton Dienst tut, ist das Objekt des Begehrens von zwei Menschen. Da ist einmal Marion, seine Frau. Sie liebt ihn seit ihrer Jugend und heiratet ihn trotz einiger versteckter Warnungen. Und da ist der gebildete und herzliche Patrick, Kurator an einem Museum, der Tom bei der ersten zufälligen Begegnung verfällt. Die Beziehung zwischen den beiden Männern entwickelt sich leidenschaftlich. Marion verschließt die Augen vor dem Offensichtlichen, denn in ihrer Liebe zu Tom möchte sich die junge Lehrerin nicht beirren lassen. Dennoch kommt es zum Eklat, die Geschichte nimmt eine tragische Wende, wie es im Klima der späten fünfziger Jahre in England kaum anders sein kann. Homosexualität gilt als schwere Unzucht und wird mit Gefängnis bestraft. Marion und Patrick haben in dieser Zeit jeweils Tagebuch geführt, Ende der neunziger Jahre setzt die nun pensionierte Marion ihre Aufzeichnungen fort. Sie hat ihr Leben mit Tom verbracht, aber es ist anders verlaufen, als sie gehofft hatte. Nun, nach vierzig Jahren, ist Patrick wieder bei dem Paar, nun sterbenskrank. Marion, die ihn pflegt, zieht nun die Bilanz i hres Lebens und die Konsequenzen ihres Handelns.Der englischen Autorin Bethan Roberts, Jahrgang 1973, ist mit »Der Liebhaber meines Mannes« ein einfühlsames Buch gelungen, das die tragische Beziehung dreier Menschen beschreibt, die in jener Zeit beinahe zwangsläufig scheitern musste. In leiser, fast distanzierter Tonart wird eine Geschichte voller Zärtlichkeit und vergeblicher Liebe geschildert, die den Leser packt und ergreift.
Brigitte Lemberger
Jan Weiler: »Das Pubertier, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2014, € 12,00
Das Pubertier
Clara heißt das »Pubertier«, es ist gerade 13 Jahre alt geworden und in der Pubertät gelandet. Statt Tränenausbrüche, Türenknallen und sonstige Begleiterscheinungen des Hormonumbaus stillschweigend zu überstehen, beschließt der Vater (Jan Weiler), eine Versuchsreihe zu starten. Von nun an notiert er sämtliche merkwürdigen Verhaltensweisen, die das familiäre Pubertier an den Tag legt. Er beobachtet sein Versuchsobjekt inmitten dessen Chaos, sowohl was das eigene Zimmer als auch das Gefühlsleben betrifft. Mit Humor und Liebe begleitet er kommentierend seinen zeitweise renitenten Teenie durch die Phasen des Erwachsenwerdens und bemüht sich nach Kräften, als Vater nicht dauernd »endpeinlich« zu sein. Heimlich googelt er Begriffe wie »swag«, »epic fail« oder »Yolo«, mit denen der Nachwuchs, dauernd telefonierend oder simsend, der besten Freundin die jeweilige Lage beschreibt. Jan Weiler, der mit seinem Roman »Maria, ihm schmeckt`s nicht« einen durchschlagenden Erfolg erzielte, ist mit seinem neuen, schmalen Büchlein wieder ein heiterer Hit gelungen. Nicht nur Eltern, auch Großeltern, die sich hin und wieder ber die Verwandlung des gerade noch reizenden, anschmiegsamen Kindes in ein reizbares Wesen wundern, sehen aus Jan Weilers freundlicher Perspektive auf ein unausweichliches Phänomen, das mit dem Erreichen etwa des 15. Lebensjahrs des Probanden oder der Probandin wieder verschwindet. Meistens jedenfalls.
Brigitte Lemberger

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