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Patientenverfügung: Sichert so ein Papier mir ein Sterben nach Wunsch?

Wünsche ich eine Herz-Lungen-Wiederbelebung? Möchte ich maschinell beatmet und auf einer Intensivstation behandelt werden? Im Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung sind diese Fragen entscheidend. Doch sie sind in den seltensten Fällen geklärt. Patientenverfügungen sind wenig verbreitet und selten so aussagekräftig, dass sie vom medizinischen Personal beachtet werden.

Foto: epd
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Wünsche ich eine Herz-Lungen-Wiederbelebung? Möchte ich maschinell beatmet und auf einer Intensivstation behandelt werden? Im Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung sind diese Fragen entscheidend. Doch sie sind in den seltensten Fällen geklärt. Patientenverfügungen sind wenig verbreitet und selten so aussagekräftig, dass sie vom medizinischen Personal beachtet werden.
„In der Regel läuft die gesamte lebenserhaltende Maschinerie an, auch wenn ein hochbetagter und sehr kranker Mensch in die Klinik kommt. Die konventionelle Patientenverfügung, wie es sie heute in Deutschland gibt, ist als Instrument gescheitert“, sagt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU.
Lebenslanger Prozess
Doch es gibt Alternativen: Mit einem Team von Kollegen, das vor Ort vom Allgemeinmediziner Jürgen in der Schmitten von der Universität Düsseldorf geleitet wurde, hat Marckmann das amerikanische Konzept des „Advance Care Planning“, der gesundheitlichen Vorausplanung, in einem Pilotprojekt für den deutschen Sprachraum adaptiert. „Advance Care Planning bedeutet einen Systemwandel, denn die gesundheitliche Vorausplanung wird als lebenslanger Prozess verstanden, und es wird dabei aktiv eine professionelle Gesprächsbegleitung angeboten, an deren Ende eine ausführliche, individuelle Patientenverfügung steht“, sagt Marckmann. Beim traditionellen Umgang mit Patientenverfügungen ist es dagegen Sache des Einzelnen, sich darum zu kümmern.
Für das Pilotprojekt haben die Wissenschaftler das Programm „beizeiten begleiten“ entwickelt, in drei Seniorenheimen in Nordrhein-Westfalen implementiert und über einen Zeitraum von 16 Monaten wissenschaftlich untersucht. Mitarbeiterinnen der Seniorenheime wurden dafür geschult, mit Bewohnern Gespräche zur gesundheitlichen Vorausplanung zu führen. Zudem wurde das Projekt regional verankert: Hausärzte, die die Bewohner betreuten, erhielten Fortbildungen zum Thema, und es gab Informationsveranstaltungen für Pflegende, Krankenhaus- und Notärzte, Rettungsdienstmitarbeiter sowie Berufsbetreuer. Die Wissenschaftler entwickelten einheitliche Formulare für die Patientenverfügung sowie ein Formular für eine Hausärztliche Anordnung für den Notfall (HAnNo), aus dem klar hervorgeht, wie sich Ärzte, Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Pflegende im Notfall verhalten sollen.
Mehr und bessere Verfügungen
„Mit diesen Angeboten konnten wir nicht nur die Anzahl, sondern vor allem auch die Qualität der Patientenverfügungen, also ihre Aussagekraft, deutlich steigern“, sagt Marckmann. Bereits nach 16 Monaten hatten mehr als 50 Prozent der Bewohner der beteiligten Altenheime eine Patientenverfügung. Fast 94 Prozent der neu erstellten Verfügungen waren von einem Arzt unterschrieben und fast immer war darin ein gesetzlicher Vertreter genannt. 98 Prozent der Verfügungen legten das Verhalten im Notfall fest und beinahe 96 Prozent der Verfügungen erhielten klare Aussagen zur Wiederbelebung. Diese Zahlen waren deutlich höher als in einer parallel untersuchten Kontrollregion.
Die beteiligten Bewohner und Mitarbeiter in den Seniorenheimen gaben den Wissenschaftlern sehr gute Rückmeldungen. „Die Menschen waren froh, dass endlich jemand mit ihnen über das Sterben und die medizinischen Behandlungen am Lebensende spricht“, sagt Marckmann. Im persönlichen Gespräch konnten die Begleiter viele falsche Vorstellungen ausräumen, beispielsweise über die (bei Altenheimbewohnern meist sehr geringen) Erfolgsaussichten bei Wiederbelebungsversuchen aufklären.
In Würde sterben
„Mit Advance-Care-Planning-Programmen gelingt es, die Wünsche betagter und chronisch kranker Menschen für künftige Behandlungen systematisch im Voraus in Erfahrung zu bringen und sicherzustellen, dass sie im Notfall tatsächlich beachtet werden“, sagt Marckmann. „Anstatt über die organisierte Sterbehilfe zu debattieren, sollte eher überlegt werden, wie die Menschen Zugang zu einer regional implementierten gesundheitlichen Vorausplanung bekommen können. Denn das Ziel von Advance Care Planning ist es, Menschen zu ermöglichen, in Würde zu sterben, so, wie sie es selbst für sich vorstellen“, sagt Marckmann.
Ziel der Wissenschaftler ist es nun, die gesundheitliche Vorsorge in die Regelversorgung zu integrieren. „Unsere Studie belegt erstmals, dass ein regionales Advance Care Programm in Deutschland durchführbar ist, und zeigt, wie effektiv es ist“, sagt Marckmann. In der amerikanischen Region La Crosse in Wisconsin beispielsweise, die Vorbild für die Pilotstudie war, wird die gesundheitliche Vorausplanung allen älteren Bürgern bei ärztlichen Routineuntersuchungen angeboten.

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