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Die Landfrau spinnt an ihrem Traum

Schau, die Frau Michl spinnt!«, hörte Susanne Michl eine ältere Frau zu ihrem Enkel sagen, während sie auf der Terrasse saß. Sie nahm es der Passantin allerdings nicht übel, sondern lächelt noch heute, wenn sie sich an die Szene erinnert. Schließlich spinnt sie tatsächlich.

Schuld war die schöne Wolle, dass Susanne Michl das Spinnen, eine alte Kulturtechnik, für sich entdeckte. Foto: Ute Fürböter
Schuld war die schöne Wolle, dass Susanne Michl das Spinnen, eine alte Kulturtechnik, für sich entdeckte. Foto: Ute Fürböter

Schau, die Frau Michl spinnt!«, hörte Susanne Michl eine ältere Frau zu ihrem Enkel sagen, während sie auf der Terrasse saß. Sie nahm es der Passantin allerdings nicht übel, sondern lächelt noch heute, wenn sie sich an die Szene erinnert. Schließlich spinnt sie tatsächlich.
Schuld war die schöne Wolle. »Ich wollte sie nicht wegwerfen«, sagt die 62-jährige Susanne Michl. Die gelernte Erzieherin besitzt eigene Schafe. Zeitweise hat Michl sogar selbst gezüchtet. Damals lebte sie in Dormitz, etwa zehn Kilometer östlich von Erlangen. »Anfangs waren es drei Schafe. Sie waren kleinwüchsig, eine typisch ostpreußische Rasse eben, und standen bei uns im Garten«, erinnert sich die Mutter zweier Söhne. Später, die Herde war größer geworden, ging das natürlich nicht mehr. Also mussten die Tiere tagaus tagein auf die Weide gefahren werden. Morgens hin, abends zurück.
Inzwischen besitzt Susanne Michl neun Schafe, sechs Ziegen sowie zehn Hühner. Und sie lebt mittlerweile in Hundshaupten nahe Eggloffstein im Landkreis Forchheim. In dem 150-Seelen-Ort bewohnt sie seither mit Ehemann Arno und dem 27-jährigen Lukas, ihrem jüngeren Sohn, ein kleines gemütliches Holzhaus. Es wurde nach eigenen Plänen erbaut. Wenn man aus der Hautür tritt, fällt man sozusagen in den Stall. »Es war mein Traum, meine Tiere bei mir zu haben!«, sagt Michl. »Ich habe gedacht, in so einem kleinen Dorf findet man schlecht Anschluss.« Doch es kam ganz anders: »Die Leute nehmen Anteil, ohne neugierig zu sein. Ich glaube, in einer Stadtwohnung ist man einsamer.«
Das Haus der Familie steht etwas abseits. Schafe und Ziegen grasen in Sichtweite und weiden die Streuobstwiesen ab. Ein Bild wie aus früheren Tagen. »Im Ort gibt es keine einzige Kuh mehr«, erzählt Susanne Michl. Die Hundshauptener wunderten sich über ihre neue Nachbarin:  »Wir hören alle auf mit der Tierhaltung, und du fängst an!« Von diesem Wandel profitiert die eher stille, zurückhaltende Frau. »Viele stellen mir Pachtland zur Verfügung«, sagt sie.
Kindheit in München
Ihre Kindheit verbrachte Susanne Michl in München – und trotzdem stammt sie aus einem Bauernhof. Der Hof der Eltern lag am Rande der Großstadt. »Wir hatten nur Kühe, Schweine und Hühner. Mein älterer Bruder hat den Hof übernommen«, sagt sie ohne das geringste Bedauern. Sie selbst begann nach der Realschule, im Büro zu arbeiten. Mit 20 entschloss sie sich, Erzieherin zu werden. In dem Beruf ist Michl jetzt seit rund 30 Jahren tätig, wenn auch nur geringfügig beschäftigt.
»Viele Leute können den Eintritt ins Rentenalter nicht erwarten, und dann fallen sie in ein Loch«, sagt Arno Ritter-Michl, 58 und Erzieher von Beruf wie seine Frau. »Meine Frau hat viel Arbeit durch die Tiere. Aber diese Arbeit ist sinnstiftend. Nachdem die Kinder nun mal groß sind, hat sie außerdem wieder etwas Lebendiges zum Kümmern. Darüber hinaus haben wir beide etwas Gemeinsames. So übernehme ich mit Lukas immer die Heuernte.« Im Alter, gibt er zu bedenken, nähmen die sozialen Kontakte in der Regel tendenziell ab. Bei seiner Frau sei jedoch das Gegenteil der Fall: »Sie engagiert sich in Schaf- und Spinn- und Strickforen.«
Käse für den Hausbedarf
Die Leidenschaft, meint Susanne Michl, teile ihr Mann zwar nicht mit ihr, aber er unterstütze sie nach Kräften. »Ich bereue nur, dass ich erst so spät angefangen habe«, seufzt sie. »Wenn ich das doch schon mit 30 getan hätte! Ich hätte viel mehr auf die Beine stellen können.« Dabei hat sie schon einiges zuwege gebracht, wie etwa das Käsen für den Hausbedarf. Wie aus der Milch von Heidi, Sissi und Co. feiner Ziegencamembert, Feta, Blauschimmel- oder Hartkäse wird, hat sich Susanne Michl selbst angeeignet, genauso wie das Spinnen.
Spinnen ist, wie das Weben, eine der ältesten Techniken der Menschheit. In Europa wurde schon um 6000 v.Ch. mit der Hand gesponnen. Eine faszinierende Technik. Susanne Michl hat sich Videos angesehen, um zu erfahren, wie lose Fasern durch gleichzeitiges Verdrehen und Auseinanderziehen zu einem Faden versponnen werden. Feinheiten wurden erst nach und nach wichtig. Tipps und Lösungen fanden sich zudem im Internet reichlich. Mehr als 300 Frauen haben sich allein in Unterhaching zu einer »Handspinngilde« zusammengefunden. Man teilt die Freude an handwerklichen Arbeiten und alten Kulturtechniken sowie die Lust auf schöne, individuelle Kleidungsstücke aus guten, unbehandelten Rohstoffen. »Hier in Hundshaupten spinnt niemand mehr. Selbst von den Alten nicht. Ich bin die Einzige« sagt sie. Dabei sei Spinnen »entspannend und meditativ. Man kann seine Gedanken in den Faden einfließen lassen.«
Immer das Strickzeug dabei
Ihre Hände sind immer beschäftigt. Sogar wenn die Geschirrspülmaschine noch nicht fertig ist, überbrückt sie die Zeit bis zum Ausräumen mit Spinnen. Eines ihrer drei Spinnräder ist zusammenklappbar und damit transportabel. Spinnen ist also fast überall möglich. Und für den Fall, dass sie unterwegs irgendwo warten muss, etwa am Bahnhof, hat sie das Strickzeug dabei.
Doch weder Dreieckstücher noch Pullover oder Jacken, ja noch nicht einmal Socken strickt Susanne Michl auf Bestellung. Sie geht nicht auf Märkte und hat auch keine Homepage. Trotzdem verkauft sie manchmal eines ihrer farbenbenprächtigen Unikate an Leute, die Handarbeit zu schätzen wissen. »Den Stundenlohn berechne ich aber nicht, unmöglich. Doch fürs Geld stricke ich ja auch nicht, sondern weil ich es gern mache!«
Einmal im Monat fährt Susanne Michl ins Pfarrzentrum von St. Marien nach Erlangen-Bruck. Hier trifft sich der Spinnkreis. Bis zu 20 Frauen im Alter von Ende 20 bis Anfang 60 kommen zur Ideen- und Kreativwerkstatt. Der Raum schwirrt vor Stimmen. Es wird viel geredet und viel gelacht. »Schau, hier ist deine Wolle mit drin“, sagt Ellen Ribitzki zu Susanne Michl, während sie eine große, wunderschöne, selbst gewebte Decke ausbreitet. Der Spinnkreis findet immer von 16 Uhr bis 22 Uhr statt. Und immer ist Susanne Michl die Erste, die geht. Es kann noch so schön sein, sie fährt heim. Ziegen melken, wie jeden Morgen und jeden Abend.
Ute Fürböter

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