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Als Europa noch Grenzen hatte

Es ist fast 20 Jahre her, dass es endgültig in Kraft trat, das »Schengener Abkommen«. Die neue Richtlinie ermöglichte das Reisen innerhalb Europas ohne Grenzkontrollen. Sechs+sechzig hat sich umgehört, wie das so war, als Europa noch Grenzen hatte und es noch nicht so leicht war, von einem Land ins andere zu reisen.

Blick auf das Alpenpanorama: Jutta Körner (2. von rechts) mit ihren Kindern Karin und Joachim 1969 auf dem Großglockner. Foto: privat
Blick auf das Alpenpanorama: Jutta Körner (2. von rechts) mit ihren Kindern Karin und Joachim 1969 auf dem Großglockner. Foto: privat

Es ist fast 20 Jahre her, dass es endgültig in Kraft trat, das »Schengener Abkommen«. Die neue Richtlinie ermöglichte das Reisen innerhalb Europas ohne Grenzkontrollen. Sechs+sechzig hat sich umgehört, wie das so war, als Europa noch Grenzen hatte und es noch nicht so leicht war, von einem Land ins andere zu reisen.
»Und dann haben wir doch tatsächlich den wichtigsten Grenzübertritt unseres Lebens verschlafen.« Gerda Bürger (66) lacht. 22 Jahre war sie damals alt und befand sich mit ihrem Mann Andreas auf der ersten gemeinsamen Urlaubsreise mit dem Zug vom kleinen Heimatdorf Rode bei Schäßburg in Siebenbürgen zu den Großeltern ins baden-württembergische Lörrach.
Die kleine, einjährige Tochter Gerdi mussten sie bei Verwandten lassen: Zu groß waren die Befürchtungen der rumänischen Behörden gewesen, man würde nicht mehr zurückkehren. Und groß waren auch die Schikanen, die das Paar an der ersten Grenze auf ihrer weiten Fahrt erlebte – der zwischen Rumänien und Ungarn: Die Koffer wurden restlos geleert, alle Kleidungsstücke penibel kontrolliert, man suchte nach Devisen und anderer Schmuggelware.
»Auch wir wollten natürlich nicht ganz ohne Geld in Deutschland ankommen. Deshalb habe ich mir einige D-Mark-Scheine, die mir ein Onkel bei seinem Besuch in Rumänien geschenkt hatte, in den BH genäht. Gott sei Dank sind die Zöllner nicht auf die Idee gekommen, auch noch eine Leibesvisitation vorzunehmen«, erinnert sich Gerda Bürger aus Fürth.
Ziemlich erleichtert setzte das Paar dann die Zugfahrt durch Ungarn über Österreich nach Deutschland fort. So erleichtert, dass die beiden am Grenzübertritt in die Bundesrepublik tief schliefen und erst in München aufwachten. »Da war plötzlich alles so hell – bei uns daheim gab es in der Nacht ja kein Licht, und München begrüßte uns mit einem Lichtermeer. Das werde ich nie vergessen, auch wenn ich doch tatsächlich den wichtigsten Grenzübertritt unseres Lebens verschlafen habe und die Zöllner dort anscheinend mit uns ein Einsehen hatten und uns nicht weckten.«
Wird das Auto gefilzt?
Nicht nur bei Reisen von Ost nach West war der Grenzübertritt mit der Angst verbunden, dass man bei Kontrollen mit unerlaubten Waren erwischt wurde. Der Fürther Jürgen Schönborn (70) erinnert sich: »Zweimal im Jahr sind wir mit der Fähre von Travemünde nach Helsinki gefahren. Kurz vor Ankunft kam die große Angst: Wird mein Auto gefilzt nach Alkohol? Und tatsächlich: Einmal mussten wir in die Zollhalle fahren, das Auto wurde auseinandergenommen, alle Fläschchen, die wir dabei hatten, der Reihe nach aufgestellt, alles ausgeschüttet, und 400 Mark Zoll waren fällig. Ein toller Beginn für den Urlaub. Da das Bier und der Wein in Finnland aber so viel teurer waren als in Deutschland, hat man das Risiko immer wieder auf sich genommen. Heute ist das vorbei. EU-Bürger können mitnehmen, so viel sie wollen.«
An das »Fläschchen-Aufstellen« kann sich auch Jutta Körner (82) aus Fürth lebhaft erinnern. Sie denkt an eine Rückreise mit ihrem Mann vom Urlaub am Faaker See in Kärnten nach München in den 60-er Jahren. »Unser Auto war voll bepackt, damals nahm man ja sogar noch die eigene Bettwäsche mit, um möglichst günstig Urlaub machen zu können.« Und natürlich lockten die Märkte im nahen Italien mit ihren beeindruckenden Angeboten. Da griff man schon tüchtig zu bei Martini, Zitronenlikör und anderen Köstlichkeiten, die damals in Deutschland viel teurer waren. Und der berühmte »Stroh-Rum« aus Österreich – beliebt nicht bloß als Backzutat – musste natürlich auch mit.
»Der Fehler an der Grenze zu Deutschland war dann wohl, dass wir auf die Frage, ob wir etwas zu verzollen hätten, glatt mit nein geantwortet haben. Und das nahm uns der junge, ehrgeizige Zöllner dann doch nicht ab«, erinnert sich Jutta Körner. Man musste rechts ran fahren, der kleine VW wurde auseinandergenommen, selbst die Innenverkleidung abgeschraubt. Und dann tauchten sie natürlich auf, die »Fläschchen« und die Zigaretten. Schön aufgereiht standen sie im Büro des Zolls, und das große Rechnen und Bezahlen begann.
Genug Lehrgeld bezahlt
»Als der junge Zöllner dann seinen Chef darauf aufmerksam machte, dass wir auch noch eine große Laufpuppe als Mitbringsel für die Tochter im Auto hatten, war mein Ärger fast nicht mehr zu verbergen, aber wenigstens da kam uns der erfahrenere Kollege entgegen und meinte, wir hätten schon genug Lehrgeld gezahlt.«
Die Körners sind dann mit ihren beiden Kindern noch oft über die Grenzen nach Italien gefahren, haben aber immer darauf geachtet, dass die Antwort auf die Frage am Zoll stets lautete: »Die erlaubten Mengen…«
Keinen finanziellen, sondern einen Imageschaden hatte der demnächst in Pension gehende Fürther Lehrer Günter Berndt: »Das war auf einer Klassenfahrt, in den 80-er Jahren nach Berlin. Schon im Bus bekam ich mit, dass einige Schüler vorhatten, Devisen nach Ostberlin zu schmuggeln, und als mir dann kurz vor der Grenze ein Mädel eine Packung Zigaretten zusteckte, war mir schon etwas mulmig.« Und so war ihm auch irgendwie klar, dass ihn die DDR-Beamten als einzigen aus der Gruppe filzen würden. Dass er sich dabei aber vollkommen nackt ausziehen musste, war denn doch etwas zu viel für den geduldigen Pädagogen, zumal sich die Sache mit den Zigaretten als harmlos entpuppt hat.
Und schließlich kann auch die Autorin von einer »Grenzerfahrung« der besonderen Art berichten: Ebenfalls Ostberlin, ebenfalls die 80-er Jahre: Erste gemeinsame Fahrt mit dem späteren Ehemann durch den eisernen Vorhang. Parkplatzsuche Unter den Linden – mit Verwunderung und Freude registrierten wir, dass es in Ostberlin wohl überall freie Plätze gibt. Nach unserer Besichtigungstour war mittags die Verzweiflung groß, als wir wieder zurück in den Westen der Stadt wollten. Da stand einsam und allein ein kleiner roter Golf inmitten von hunderten Marathonläufern, die das Hindernis geschickt »umliefen«. Ein junger, gestrenger Volkspolizist gab zur Auskunft, da hätte man jetzt wohl Pech gehabt. In den nächsten paar Stunden den Wagen aus der »Zone« zu bekommen, das sei nicht möglich, das gäbe wohl jetzt mächtig Ärger.
Aber auch in dieser Situation kam ein verständnisvollerer, älterer Kollege zu Hilfe. Er leitete kurzerhand die ganze Marathonmannschaft in weitem Bogen an unserem Wagen vorbei, und wir konnten erleichtert ausparken. Beim Grenzübergang vergaß ich dann glatt das geschmuggelte DDR-Rest-Geld zwischen den Prinzenrollen-Keksen – und machte anscheinend bei den Zollbeamten einen so glücklichen Eindruck, dass keiner auf die Idee kam, uns intensiver zu kontrollieren.
Karin Jungkunz

Eine Antwort

  1. Für solche Kontrolle musste man damals nicht unbedingt von Ost nach West reisen, mir ist es rund 1980 auh schon an der niederländisch-deutschen grenze passiert dass ich mich ganz ausziehen und bücken musste. Ich muss sagen dass ich mit meinem langen Haar damals ein wenig wie ein Hippy aussah, und wie ich von Freunden hörte, war ich nicht der einzige dem das passierte.

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