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Ein Gutes Semsinarangebot bereitet Menschen auf den Umgang mit Demenzkranke vor. Das ist für Pflegepersonal und Angehörige gleichermaßen hilfreich. Foto: Patrik Schulz
Die Powerpoint-Präsentation beginnt mit einem seltsamen Postkartenmotiv. Schneebedeckte Gipfel, dazu die Überschrift „Viele Grüße von der Ostsee“. Vereinzelt hört man Lacher, während sich der Raum allmählich füllt, jemand schüttelt irritiert den Kopf. Eine Irritation, die der Schulungsleiter Winfried Wassong genau so beabsichtigt hat. Die meisten Teilnehmer der Schulung „Mit Demenz leben“ im Evangelischen Stift Freiburg kennen „Verrücktheiten“ aus ihrem Alltag mit Demenzkranken gut. Heute sollen sie die Perspektive wechseln und sich zumindest für Momente in dementiell beeinträchtigte Menschen hinein fühlen. „Was passiert, wenn ich mich nicht so verhalte, wie die anderen es erwarten?“ stellt Wassong zur Eröffnung seines Tagesseminars als Frage in den Raum.
Gerade in der Anfangsphase ihrer Erkrankung erleben Demenz-Patienten bewusst, wie früher selbstverständliche Fähigkeiten verlorengehen. Sie sind deshalb sehr verletzlich und können ihre Würde nicht mehr so selbstbewusst schützen wie Gesunde. Umso abhängiger werden sie von der Atmosphäre, die die Menschen in ihrem Umfeld erzeugen. Unzufriedenheit und Ängste, verdeckte oder offene Aggression um sie herum treffen sie direkt ins Herz.
Für die Angehörigen, aber auch für die professionellen oder freiwilligen Helfer ist Demenz eine echte Herausforderung. In den Pflegeheimen des Evangelischen Stift Freiburg sind 70 bis 80 Prozent der Bewohner(innen) mehr oder weniger dementiell beeinträchtigt. Nicht nur Pflegefachkräfte, alle Mitarbeitenden der verschiedenen Häuser haben immer wieder Berührung mit Erkrankten. Für die Leitung des Evangelischen Stifts war das ein guter Grund, eine außergewöhnlich breit angelegte Fortbildungsoffensive zu starten: Sämtliche Mitarbeitende, vom Computerspezialisten über die Cafeteria-Bedienung bis zum Technischen Dienst, sollen jetzt lernen, mit Demenzkranken positiv und angemessen umzugehen. Auch die Angehörigen und Ehrenamtlichen bekommen im Evangelischen Stift die Chance, an der Qualifikation teilzunehmen. Die Schulungen sollen aber nicht zuletzt auch den Bewohnerinnen und Bewohnern des Evangelischen Stifts zu Gute kommen, die von einer entspannten Atmosphäre profitieren – und das nicht nur, wenn sie selbst dementiell erkrankt sind.
Eine bunt gemischte Teilnehmerschar hat sich deshalb in der Kapelle des Stifts zusammengefunden. Die Kunsttherapeutin sitzt neben dem Malermeister vom Technischen Dienst, der Herr aus der Verwaltung neben der Pflegefachkraft. Eine Sekretärin macht mit, eine Hauswirtschafterin, aber auch die Leitungsebene des Stifts hat sich verpflichtet, teilzunehmen. Der Schulungsleiter geht es systematisch an. Er zeigt Bilder des Gehirns eines Alzheimerkranken, erläutert, wie wichtig eine fundierte Diagnose ist. Drei verschiedene Schweregrade der Demenz werden mit ihren Symptomen und Therapiezielen umrissen. Aus den Basisinformationen ergibt sich das Ziel der Begleitung eines Demenzkranken wie von selbst: das Selbstwertgefühl und die Sicherheit so weit wie möglich zu erhalten oder wiederherzustellen und ein „Netz von Vertrautheit“ zu knüpfen.
Doch das ist einfacher gesagt als getan. Was kann man ganz konkret tun? „Wesentlich ist, den Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt des Tuns zu stellen“, erklärt Wassong. Das bedeutet: Ihn bewusst wahrzunehmen, sich auf ihn zu konzentrieren. Das tun wir, indem wir mit dem Gegenüber in Augenkontakt treten, uns mit ihm auf Augenhöhe in Verbindung setzen. Ebenso wichtig ist die wertschätzende Ansprache mit dem Nachnamen, nicht anders, als man das bei einem „Gesunden“ tun würde. Freundschaftliche Berührungen können wirkungsvoll das Eis brechen, zum Beispiel am Oberarm, an den Schultern oder am Handrücken.
An der Wand prangt jetzt ein beeindruckendes Bild des Eiffelturms: „Viele Grüße aus London!“ Eine positive Verbindung zwischen der Denkwelt eines Demenzkranken und der eines Gesunden herzustellen, ist keine Kleinigkeit. Der Sozialpsychologe Tom Kitwood hat zu diesem Zweck eine Reihe von „positiven Interaktionen“ zusammengestellt: Die Anerkennung zum Beispiel (durch Zuhören, in Kontakt treten, ein Kompliment etc.), aber auch das Verhandeln (Bedürfnisse erfragen) oder die Zusammenarbeit (bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, bei der Pflege). Auch das gemeinsame Spiel, das Feiern von Festen oder kreative Tätigkeiten wie Tanzen, Malen, Musik hören stellen Verbundenheit her. Bei all dem ist es wichtig, den Menschen mit Demenz nicht immer nur die passive Rolle spielen zu lassen, ihn auch „geben zu lassen“.
Da stellt der Herr vom Technischen Dienst des Stifts eine so einfache wie spannende Frage: „Woher wissen Sie überhaupt, wann es den Demenzkranken gut oder schlecht geht? Sie können sich doch oft selbst nicht mehr verständlich äußern!“ Gerade von den „Laien“ in Sachen Demenz kommen grundlegende Fragen, die dem Schulungsleiter sichtlich Freude machen. „Sie müssen die nonverbalen Signale deuten, also Mimik, Körperhaltung, Ton… Genau das tun auch die Wissenschaftler ganz systematisch, wenn sie Demenzkranke und ihre Reaktionen untersuchen.“
Geht es noch konkreter? Wie reagiert man zum Beispiel angemessen auf eine Bewohnerin, die sich auf die Ausgangstür zubewegt und erklärt, sie müsse jetzt unbedingt nach Hause, da die Kinder dort auf sie und das Mittagessen warteten? Die „Integrative Validation“ nach Nicole Richard ist eine Hilfe für solche Situationen. Auch diese Methode setzt bei der bewussten Wahrnehmung der Gefühle und Antriebe des Gegenübers an. Diese zu benennen, in kurzen, klaren Sätzen wiederzugeben, hilft beiden Seiten. „Sie möchten zu ihren Kindern, weil sie eine gewissenhafte Mutter sind“, ist eine mögliche Antwort auf die erregten Erklärungen der Bewohnerin. Im nächsten Schritt können diese Gefühle verallgemeinert werden, zum Beispiel mit Hilfe einer Redensart oder eines Liedtextes („Da gibt es doch diesen Schlager: Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann…“). Aber auch der Bezug auf Biografisches kann die Situation entspannen („Ihre Tochter hat mir erzählt, dass Sie eine besonders gute Köchin sind, Frau X. Haben Sie sich das Kochen eigentlich selbst beigebracht?“).
Doch Demenz ist und bleibt mitunter anstrengend – für alle Beteiligten. Gewalt und Zwang sind im Alltag mit Demenzkranken nicht umsonst immer wieder heiße Themen. Auch wer es gut meint, kann diese Gewalt ausüben, stellt Wassong klar. Erich Fried hat es klarsichtig auf den Punkt gebracht: „Die Gewalt fängt nicht an, wenn einer einen erwürgt. Sie fängt an, wenn einer sagt: Ich liebe dich. Du gehörst mir. Die Gewalt fängt nicht an, wenn Kranke getötet werden. Sie fängt an, wenn einer sagt: Du bist krank. Du musst tun, was ich dir sage.“
Weitere Infos und Kontakt
Das Evangelische Stift Freiburg bietet in insgesamt neun Häusern stationäre Pflege im Altenheim, Betreutes Wohnen und Servicewohnen für Senioren an. Auch eine Tagespflegeeinrichtung, ein Ambulanter Pflegedienst, ein intergeneratives Wohnprojekt für Studierende und Senioren sowie eine Kindertagesstätte gehören zum Träger. Die Begegnungsstätte in Freiburgs Innenstadt ist für alle Interessenten offen. Die Freiburger Häuser haben eine eigene Pfarrstelle.
Die Fortbildungsreihe begann am 11. Mai dieses Jahres mit einer ganztägigen Auftaktveranstaltung für die Führungskräfte. Weitere Informationen bei Projektleiterin Birgit H. E. Walkenhorst unter Tel. 0761/ 31913-165, E-Mail: Birgit.Walkenhorst@stift-freiburg.de oder beim Geschäftsführenden Vorstand Hartmut von Schöning, Tel. 0761/316913-116, E-Mail: sekretariat.vorstand@stift-freiburg.de. Informationen auch unter www.stift-freiburg.de und www.kaemmer-beratung.de.

Eine Antwort

  1. Das hört sich nach einem sehr interessanten Seminar ein. Das hilft sicher, mehr Einfühlsamkeit für Demenzkranke zu zu entwickeln und mehr Geduld mit ihnen zu haben.
    Ich bin selbst im Pflegebereich tätig und würde so ein Seminar nur zugern mal besuchen!
    Danke für den Tipp!
    Schöner Artikel!
    LG,
    Isabelle von Pflege Fachkraft

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