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Margrit Vollertsen-Diewerge mit den acht Märchenbüchern die sie bereits herausgebracht hat, im Lesezimmer ihres Hauses in Erlangen. Foto: Mile Cindric
Die kommt man dazu, sich aus Vergnügen ununterbrochen phantasievolle Geschichte auszudenken, die Jungen und Mädchen gerne lesen? Die Erlanger Autorin Margrit Vollertsen-Diewerge pflegt dieses Hobby seit ihrer Kindheit. »Ich bin im Krieg aufgewachsen und habe erlebt, wie alles kaputt war, wie die Menschen litten«, erzählt die 78-Jährige. Sie fand damals in den Geschichten einen Wegbegleiter, der ihr heraushalf aus der zerstörten Umgebung und der Not, die die Menschen zu leiden hatten. Es war die Phantasie, die sie antrieb, und sie mitten hineinführte in die Welt der Märchen. So erzählte sie schon ihren kleinen Schwestern Geschichten, um sie aufzumuntern und Farbe in den grauen Alltag zu bringen. Spielsachen und Bücher gab es damals nicht, also setzte sie ganz auf ihren Ideenreichtum.
Diese Fähigkeit hat sie sich bis heute erhalten. Aus den vielen Märchen, die die Erlangerin aufgeschrieben hat, sind inzwischen wunderbare, mehrsprachige Kinderbücher entstanden. Das Prinzip ist bestechend: In Kooperationen mit Schulen in der Hugenottenstadt werden die Texte in mehrere Sprachen übersetzt, Schüler illustrieren die Geschichten mit bunten Bildern, das Ergebnis wird dann in Buchform veröffentlicht. So ist die »Schlangenprinzessin Niesnichtmehr« auf Chinesisch, Englisch und Deutsch zu lesen, »Jan und sein Luftmobil« auf Französisch, Bretonisch und Deutsch, andere Bände gibt es auf Türkisch, Griechisch, Russisch, Schwedisch, Finnisch und Spanisch. Sogar auf Latein und in Esperanto begeistern die Abenteuer der Erlanger Autorin – und eine Hochdeutsch-Fränkisch-Thüringische Geschichte über einen lustigen Maulwurf gibt es auch. Jeweils in drei Sprachen, die in drei Spalten nebeneinander pro Seite zu lesen sind, ist ein Märchenbuch aufgeteilt. »Zweisprachige Projekte gibt es ja öfters, ich wollte etwas Besonderes machen«, sagt die agile Erlangerin mit den langen blonden Haaren und der markanten Brille.
Drei Sprachen auf einen Blick
Die Schulen in der Stadt machen bei ihren Projekten gerne mit, Bildungsstätten in anderen Ländern, die dann das Übersetzen der Geschichten übernehmen, findet Margrit Vollertsen-Diewerge entweder über Schulpartnerschaften oder über den Erlanger Ausländerbeirat. Auf diese Weise entstanden bereits acht Kleinode. Das neunte Buch ist derzeit in Vorbereitung und soll im Herbst zum Interkulturellen Monat erscheinen. Unter dem Titel »Insel ohne Gleichen« erzählt es von einem behinderten Jungen, der weder sehen noch hören kann, aber dennoch zu einer abenteuerlichen Reise aufbricht. Vollertsen-Diewerge ist besonders stolz darauf, dass diese ungewöhnliche Geschichte auf Arabisch, Hebräisch, Englisch und Deutsch übersetzt wurde und dass sie dafür mit einer Schule kooperierte, die jüdische und arabische Kinder gemeinsam besuchen.
»Ich freue mich schon riesig auf die Bilder und bin sehr gespannt, wie die Kinder den behinderten Jungen malen, wie sie seine Erlebnisse bildlich umsetzen«, sagt sie. Überhaupt sei es faszinierend, wie in jedem Land ein anderer Malstil zu Tage trete. Doch auch Gemeinsamkeiten hat sie entdeckt: die Kinder in aller Welt mögen Comics und orientieren sich heute oft an den japanischen Manga-Zeichnungen, die Menschen mit übergroßen Augen darstellen.
Geschichten vom Frieden
Im Vordergrund steht bei Margrit Vollertsen-Diewerge stets der Friedensgedanke: »Ich will Interesse für andere Länder und Kulturen wecken, denn wer sich kennt, der kämpft nicht gegeneinander.« Sie nutzt vorhandene Strukturen, die durch die Erlanger Partnerschaft mit anderen Städten entstanden sind, aber sie geht auch neue Wege. Mit der einfühlsamen Geschichte von »Opa Pablo« über einen Jungen, der seinem kranken Großvater hilft, hat sie sich Richtung Polen vorgewagt, obwohl es dort keine Partnerstadt von Erlangen gibt. Die Idee kam von den Schülern der Werner-von-Siemens-Realschule, die darauf hinwiesen, dass die Sprache des Nachbarlandes in ihrem Bücher-Bestand noch fehlte.
Die kraftvollen, modernen Märchen »fallen mir einfach irgendwie zu«, verrät die 78-Jährige. Die komprimierten Geschichten stünden für Freiheit, für unbegrenzte Möglichkeiten. »Ich mag gerade das Knappe, Konzentrierte an den Märchen, dass sie nicht ausufern wie ein Roman«, erklärt sie.
Begonnen hatte alles bei einem Besuch in Erlangens russischer Partnerstadt Wladimir im Jahr 2000, als sie in einer Schule eingeladen war und die Jungen und Mädchen sie fragen ließen, ob sie nicht vielleicht ein Märchen parat hätte. Und sie hatte. Kurz darauf erreichten sie tolle Bilder zu ihrer Geschichte – und Vollertsen-Diewerge war so begeistert, dass sie gar nicht anders konnte, als alles zusammen zu veröffentlichen.
Hör-CDs mit Klaus Karl-Kraus
Ihre Bücher in einer Auflage von je 1000 Stück entstehen durch ehrenamtliches Engagement, so auch bei der Übersetzung und beim Layout. Die Gestaltung der Bücher übernimmt das Seniorennetz Erlangen (SNE). Gewinnabsicht stecke keine dahinter, betont sie. Vom Verkaufspreis von 14, 80 Euro geht jeweils ein Euro an die ausländischen Schulen. Als Bonus ist jedem Buch eine Hör-CD beigelegt, gesprochen vom Erlanger Kabarettisten Klaus Karl-Kraus. So können kleinere Kinder die Märchen anhören – die sich aber natürlich auch bestens zum Vorlesen eignen. Und wer mag, kann gleich noch den Klang einer fremden Sprache aufnehmen und in die Übersetzung hereinhören. Vollertsen-Diewerge aber hat ihre Lebensaufgabe gefunden, für die sie auch gerne auf Urlaub verzichtet. Die ehemalige Journalistin will weitere Bücher herausbringen, so lange es geht. Geplant sind bereits Projekte mit Tirol, Italien und den USA.
Claudia Schuller
Fotos: Mile Cindric

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