Das menschliche Gehirn ist noch immer nicht vollständig enträtselt. Trotz aller rasanten Fortschritte der Hirnforschung sind weite Bereiche unseres Denkorgans noch unerschlossen. Auch seine Anfälligkeiten, seine rätselhaften Krankheiten sind keineswegs besiegt. Wo die Ursachen von schweren Persönlichkeitsstörungen liegen könnten, beschäftigte Forscher und Ärzte schon in früheren Jahrhunderten. Bahnbrechende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gehirnforschung tragen bis heute die Namen ihrer »Entdecker« – beispielsweise die Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit, die Jackson-Epilepsie, das Asperger-, Korsakow- oder Capgras-Syndrom. Wer diese Mediziner waren, die ihre wissenschaftliche Arbeit vorwiegend auf Fallstudien und Krankengeschichten, Mikroskop und Labor stützten, beschreibt Douwe Draaisma in seinem soeben erschienenen Buch »Geist auf Abwegen«. Mit großer Fachkenntnis und ausgeprägter Erzählkunst gibt der Wissenschaftsjournalist und Dozent für Psychologiegeschichte an der Universität Groningen Einblick in das Leben und Wirken von zwölf »namengebenden« Pionieren der Gehirnforschung. Man muss kein Mediziner sein, um die wunderlichen Wege der Patienten und ihrer Ärzte eine Weile zu begleiten. Tragisch und anrührend sind Fallbeispiele wie der von Léa-Anna B., die glaubte, der englische König sei ihr verfallen und versuche, unauffällig Kontakt mit ihr aufzunehmen. Faszinierend auch zu verfolgen, wie sehr Diagnose und Behandlung von Krankheiten immer auch vom herrschenden Weltbild abhängig waren (und sind). Es zeigt sich, dass die »schwierigen Kinder« mit dem später so benannten »Asperger-Syndrom« eben nicht Opfer »eisiger Mütter« waren, deren rationales, kaltes Wesen es nicht erlaubte, eine enge Beziehung zum Kind herzustellen. Durch die Korrektur der Sichtweise wurde eine schwere Hypothek von mütterlichen Schultern genommen.
Brigitte Lemberger
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Douwe Draaisma: Geist auf Abwegen. Eichborn-Verlag, Berlin. 368 Seiten; 19,95 Euro.
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Geist auf Abwegen
Von Douwe Draaisma