Anzeige

Esperanto lernen im Alter

Die Hoffnung auf eine friedlichere Welt: Das stand am Anfang von Esperanto. Heute engagieren sich nur wenige Menschen für diese Sprache. Dennoch: Die weltweit älteste Esperanto-Gruppe befindet sich in Nürnberg und wird von einem Kreis von engagierten Älteren in mehreren Gruppen im Großraum gepflegt.

Marga Sommer, Ester Keil, Gretel Fichtner und Emilie Loch (von links) lieben den fließenden Klang der Kunstsprache. Manchmal üben sie auch mit Hilfe von Kartenspielen. Foto: Michael Matejka
Marga Sommer, Ester Keil, Gretel Fichtner und Emilie Loch (von links) lieben den fließenden Klang der Kunstsprache. Manchmal üben sie auch mit Hilfe von Kartenspielen. Foto: Michael Matejka

In der Caféteria Heilig Geist in der Nürnberger Innenstadt spitzen einige Gäste die Ohren und rätseln herum: Woher stammen sie bloß, die vier älteren Damen am Nachbartisch, die so angeregt miteinander plaudern? Irgendwo aus dem Mittelmeerraum? Nein, das kann nicht sein, denn immer wieder einmal ist ein englisches »yes« zu hören. Dazwischen wieder ganz unentschlüsselbare Wörter.
Regelmäßige Café-Besucher wissen Bescheid: Jeden zweiten Montag im Monat trifft sich hier der Konversationskreis der Esperanto-Senioren. Und das schon seit vielen Jahren, auch wenn die Runde mittlerweile ein wenig geschrumpft ist, weil der eine oder andere Teilnehmer wegen altersbedingten Einschränkungen nicht mehr kommen kann. Hin und wieder aber stoßen neue Esperantistinnen oder Esperantisten dazu, wie kürzlich Emilie Loch, 69, die durch eine Zeitungsnotiz auf die Aktivitäten der Esperanto-Gruppe Nürnberg aufmerksam wurde und sich entschloss, einen Versuch zu wagen. Bei einem Grundkurs im Bürgerzentrum der Villa Leon auf dem ehemaligen Nürnberger Schlachthofgelände stellte sie fest, dass diese Sprache einer leicht zu begreifenden Logik folgt und bei normalem Lerneifer relativ gut zu erlernen ist. Voller Vergnügen kniete sich Emilie Loch hinein, übte Vokabeln und Grammatik. Dann traute sie sich – als Anfängerin noch etwas zögerlich – in den Konversationskreis der »Alt-Esperantistinnen«. Sie fühlte sich sofort aufgenommen und mittlerweile »richtig wohl«. Hilfsbereit überbrückte die Damenrunde die Probleme im Ausdruck der Anfängerin und ergänzte deren Wortschatz im Gespräch oder spielerisch beim Kartenspiel.
Im Vermitteln der »Brückensprache« Esperanto verfügen zwei der Teilnehmerinnen ohnehin über Erfahrung: Ester Keil, 72, und Margarete Fichtner, 86, haben ihre diesbezüglichen Sprachkenntnisse schon vor vielen Jahren an junge Menschen weitergegeben. Davon profitierte auch Marga Sommer, 72, die sich »erst« vor zehn Jahren mit der Sprache vertraut machte und inzwischen als versierte Esperantistin gilt.
Lauscht man eine Weile Ester Keil, die in ihrem Elternhaus mit Esperanto aufwuchs, hört man den fließenden Klang der Sprache, der nichts Künstliches anhaftet. Man kann nachvollziehen, was den Esperanto-Initiator oder »Erfinder« Lazarus Ludwig Zamenhof bewegte, der mit einer globalen Zweitsprache die Barrieren zwischen den Menschen abbauen wollte und dadurch ein besseres Zusammenleben erhoffte. Dass es funktionieren kann, hat Margarete Fichtner, wenn auch im Kleinen, in der damaligen DDR selbst erlebt. Sie war 50, als sie mit Leib und Seele Esperantistin wurde und sofort begann, ihr neues Wissen an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. »Bei uns ging es immer lebhaft zu«, erinnert sie sich. »Junge Leute aus verschiedenen osteuropäischen Ländern kamen mit uns in Wochenendfreizeiten und Ferienlagern zusammen und alle verständigten sich freundschaftlich in ein und derselben Sprache.« Als sie später »zwecks Eheschließung« nach Nürnberg kam, wollte sie auf diesen internationalen Austausch nicht verzichten und schloss sich der hiesigen Esperanto-Gruppe an. Damit wurde sie Mitglied in der traditionsreichsten Gruppe der Esperantisten überhaupt.
Denn die weltweit älteste Esperanto-Gruppe befindet sich in Nürnberg. Im nun 120. Jahr ihres Bestehens ist die hiesige Gruppe zwar klein, aber lebendig wie eh und je. Mit ihren derzeit 22 aktiven Mitgliedern steht sie in regem Austausch mit Esperantisten in aller Welt. Regelmäßig begrüßt sie Gäste aus den fünf Erdteilen, sendet Teilnehmer zu den jährlichen Weltkongressen (etwa im Jahr 2007 nach Yokohama, 2008 nach Rotterdam) und ist bestrebt, auch regional für ihre völkerverbindende Sache zu werben. Bei Informationsveranstaltungen erfahren Interessierte, wie, wann und wo sie sich der Sprache nähern oder ihre Kenntnisse vertiefen können (siehe Information).
Helmut Sebastian, ehrenamtlich tätiger Vorsitzender der Esperanto-Gruppe Nürnberg, ist schon seit Studententagen von der Sprache fasziniert. Als Informatiker mit einem Faible für Mathematik schätzt er vor allem den logischen Aufbau der Sprache und, dadurch bedingt, ihre leichte Erlernbarkeit. Auch ihr ideelles Element, nämlich den Menschen in der Welt eine universelle Verständigungsmöglichkeit zu verschaffen, hält er nach wie vor für wesentlich und aktuell: »Esperanto ist neutral, niemandes Eigentum und muss von jedermann als Zweitsprache erlernt werden. Das verbindet.«
Die Hoffnung auf eine friedlichere Welt: Das steht am Anfang von Esperanto. Lazarus Ludwig Zamenhof (1885-1917), ein jüdischer Augenarzt aus Bialystok, das damals zum russischen Zarenreich gehörte und heute zu Polen, erfuhr selbst die Folgen sprachlicher Zerrissenheit. In seiner Stadt lebten Juden, Polen, Russen, Deutsche und Litauer sprachlich und gesellschaftlich getrennt voneinander. So reifte in ihm schon in jungen Jahren der Plan, eine »neue«, gemeinsame Sprache zu schaffen, die als Zweitsprache für alle Gruppen verwendbar sein würde. Diesen Plan setzte er in die Tat um. Unter dem Pseudonym »Doktoro Esperanto« (Esperanto – ein Hoffender) veröffentlichte er 1887 ein Lehrbuch für »Lingvo Internacia« (Internationale Sprache). 1888 folgte sein zweites Buch »Dua Libro«. Im Tümmels Verlag Nürnberg erschien ab September 1889 die Zeitschrift »La Esperantisto«, die von einer Nürnberger Esperanto-Gruppe herausgegeben wurde und die Anhänger der neuen Sprache miteinander verband. Ab Oktober 1890 fungierte Zamenhof selbst als Herausgeber, blieb aber dem Tümmels Verlag treu. 1895 folgte ein vorläufiges Ende, nachdem sich das zaristische Russland über einen in der Zeitschrift veröffentlichten Artikel von Leo Tolstoi empört hatte und kurzerhand ein Einfuhrverbot für das Blatt verhängte. Damit verlor »La Esperantisto« die Mehrzahl seiner Abonnenten und musste eingestellt werden. Die Nachfolge trat 1895 die Zeitschrift »Lingvo Internacia« an, die von einer Esperanto-Gruppe aus Uppsala/ Schweden publiziert wurde.
Nicht allein dem russischen Zaren war die völkerverbindende Sprache suspekt. Politische Machthaber in Spanien und Portugal, vor allem aber Hitler und Stalin sahen in ihr eine Bedrohung und reagierten mit Behinderungen, Verboten und sogar Verhaftungen. Auch die DDR reihte sich in diese Riege ein, lockerte ihr Verbot jedoch ab 1965 und stellte Esperanto ab 1981 unter den Schutz des Kulturbundes. Nach der Wende trat, vor allem im Hinblick auf die osteuropäischen Länder, eine allgemeine Liberalisierung ein. Seit sich auch China nach Maos Tod 1980 der Sprachgemeinschaft anschloss, verbreiterte sich das Netz weiter über die Kontinente, zumal auch in Afrika die Zahl der Esperantisten wächst.
»Das ist einfach wunderbar«, sagt Ester Keil in Nürnberg, die selbst schon an Weltkongressen teilnahm. »Man tauscht sich aus mit Menschen von überall her, knüpft Kontakte und manchmal entstehen sogar Freundschaften.« Margarete Fichtner ergänzt: »Wenn ich irgendwo Urlaub mache, informiere ich mich vorher im ›Jahrbuch der Esperantisten‹, wer in dem jeweiligen Land unsere gemeinsame Sprache spricht. Mit dem setze ich mich dann in Verbindung, und so kommen ganz unkompliziert die erfreulichsten Begegnungen zustande.« Marga Sommer dagegen pflegt ihre Esperanto-Kontakte am liebsten schriftlich. Schon lange steht sie in Austausch mit einer Polin und erfreut sich an diesem Briefwechsel.
Genau diese Art von unmittelbaren menschlichen Kontakten sieht Helmut Sebastian in Gefahr – und nicht er allein: »Auch in der globalen Gemeinschaft der Esperantisten gewinnt das Internet immer mehr an Bedeutung. Einerseits fördert es den unmittelbaren Gedankenaustausch über alle Grenzen hinweg, andererseits lässt es das vitale Vereinsleben verarmen.« Chance oder Verarmung: Hier kann er sich selbst nicht eindeutig entscheiden. Als ausgebildeter Esperanto-Lehrer DEB – Esperanto instruisto GEA – erteilt er Unterricht sowohl »frontal« vor wissbegierigen »Schülern« im fränkischen Raum, als auch online über das neue Medium. Doch auf welchen Wegen die Begegnungen auch passieren – eines weiß er sicher: Esperanto lebt und hat eine Zukunft – Esperanto vivas kaj havas estontecon.

Brigitte Lemberger

—————————————-
Information
Esperanto in Nürnberg:
Seniorentreff in der Caféteria Heilig Geist, Spitalgasse 22, jeden zweiten Montag im Monat von 15 bis 17 Uhr.
Übersetzungsabend im Bürgerzentrum Villa Leon auf dem ehemaligen Schlachthofgelände, jeden dritten Donnerstag im Monat von 19 bis 21 Uhr.
Offener Treff für Mitglieder und Interessierte in der Gaststätte Platnersanlage, Bucher Straße 67–69, jeden vierten
Donnerstag im Monat von 19 bis 21 Uhr. Kontakt: Helmut Sebastian, Tel. 0173/3764254.
… in Erlangen:
Jeden ersten Mittwoch im Monat in der Gaststätte Orpheus (früher »Deutsches Haus«), Luitpoldstraße 25, ab 19 Uhr.
… in Forchheim:
Jeden letzten Montag im Monat offener Treff (Änderungen möglich) in der Pizzeria Pinocchio, Bamberger Straße 25, Evelin Geist, Tel. 09191/15 2 18.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content