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Panzerknacker sind in die Jahre gekommen. Die meisten Senioren werden aber beim Ladendiebstahl ertappt. Foto: fotolia
Panzerknacker sind in die Jahre gekommen. Die meisten Senioren werden aber beim Ladendiebstahl ertappt. Foto: fotolia

Ein 78-jähriger Rentner aus Nürnberg fährt mit seinem Mitsubishi in Neunhof im Knoblauchland so knapp an einem geparkten Auto vorbei, dass der Rückspiegel abbricht. Er steigt aus, steckt den völlig zerstörten Spiegel provisorisch wieder an das geparkte Auto und fährt davon, ohne sich weiter um den Unfall zu kümmern.
Eine 73-jährige Fürtherin steht vor Gericht. Sie wurde von einem Kaufhausdetektiv beim Ladendiebstahl in einem Drogeriemarkt erwischt. Eine Packung Schonkaffee, eine Körpercreme, eine Flasche Stärkungstonikum und Weißdorndragees hat die kleine, zierliche Frau in einem Geschäft im City Center mitgehen lassen – Gesamtwert: 18 Euro. Sie komme mit ihrer Rente nicht über die Runden, erklärt sie. »Ich komme mir vor wie ein Verbrecher, es gibt doch Schlimmeres«, schimpft die gehbehinderte Frau im Fürther Amtsgericht.
Ein 85-jähriger Rentner fährt bei Deggendorf verkehrt auf die Autobahn. Der Geisterfahrer verschuldet zwei Unfälle, bei denen nur mit Glück niemand verletzt wird. Nach einer Großfahndung kann die Polizei den Mann wenig später stoppen. Die Beamten stellen den Führerschein des Rentners sicher. Der alte Mann bestreitet jede Schuld.
Mehr kriminelle Rentner?
Die drei Fälle legen nahe, dass alte Menschen längst nicht mehr nur als Opfer von Straftaten in Erscheinung treten, sondern zunehmend auch als Täter. »Die Zahl greiser Krimineller wächst« titelte unlängst die Süddeutsche Zeitung und berichtete von einem Rentner-Trio, das sich wegen 14-fachen Bankraubes verantworten musste. Und auch der Spiegel schrieb vor drei Jahren: »Alt, dynamisch, kriminell – Immer mehr Rentner landen im Strafvollzug.«
Ein Trend? Peter Grösch, Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken in Nürnberg, möchte das so nicht bestätigen. Im vorigen Jahr zählte die Polizei bei Straftaten knapp 46 000 Tatverdächtige. Davon waren 3020 Personen (das entspricht 6,6 Prozent) älter als 60 Jahre. In den drei Jahren zuvor bewegte sich der Anteil in einer ganz ähnlichen Größenordnung. Am häufigsten waren Senioren in Ladendiebstähle verwickelt (15,2 Prozent der Verdächtigen waren über 60). Aber auch einfache Diebstähle (11,5 Prozent) und Beleidigungen (10,2 Prozent) zählen zu den Straftaten, bei denen ältere Menschen gehäuft straffällig werden. Bei Gewaltverbrechen, Drogendelikten oder Sexualverbrechen treten Alte dagegen nur selten in Erscheinung. »Ein großes Sorgenkind sind die Senioren für uns nicht«, fasst Grösch daher zusammen. Denn gemessen daran, dass rund ein Fünftel der Bundesbürger bereits das Rentenalter erreicht hat, sind Ältere in der Kriminalstatistik immer noch deutlich unterrepräsentiert.
Ähnlich beurteilt auch die Nürnberger Justiz die Situation, auch wenn sie keine speziellen Statistiken darüber kennt, wie häufig Rentner vor Gericht stehen und verurteilt werden. Wolfgang Träg, Oberstaatsanwalt und stellvertretender Justizsprecher, hat allerdings eine Häufung bei Unfallfluchten registriert. Das liege zum einen daran, dass es nie zuvor so viele Menschen im höheren Alter gab, die einen Führerschein besitzen. Zum anderen fährt bei Älteren die Angst mit, dass ihnen bei einem Unfall der Führerschein entzogen werden könnte – und sie damit ein wertvolles Stück Freiheit und Selbstbestimmung verlieren. Bei einem Unfall reagieren sie deshalb häufiger als junge Fahrer mit Panik und fahren auf und davon.
Dabei geht die Justiz vergleichsweise freundlich mit Senioren um: »Ältere werden tendenziell milder behandelt«, sagt Träg. Gerade wenn es um Unfallflucht geht – sofern niemand schwer verletzt wurde – können Ältere ein Strafverfahren häufig noch abwenden, wenn sie sich bereit erklären, ihren Führerschein »freiwillig« abzugeben. Auch bei Ladendiebstählen verfolgen Richter und Staatsanwälte in aller Regel erst einmal eine milde Linie. Selbst Zweittäter dürfen noch auf eine Einstellung des Verfahrens hoffen, sagt Träg.
Kommt es aber doch zu einer Verurteilung, dann fällt die Strafe häufig geringer aus, als dies bei einem jungen Menschen der Fall wäre. Das gilt insbesondere bei Freiheitsstrafen und für Angeklagte, die nicht ein ellenlanges Strafregister vorzuweisen haben. Juristen sprechen in diesem Fall von der »Haftempfindlichkeit«, die ein Kriterium für die Bemessung der Haftstrafe darstellt. Für manchen alten Menschen, der noch nie zuvor mit der Justiz zu tun hatte, würde eine Welt zusammenbrechen, wenn er hinter Gitter müsste.
Keine spezielle Statistik
Und so landen vergleichsweise wenig ältere Menschen in der Justizvollzugsanstalt. Hans Welzl, Anstaltsleiter in der Mannertstraße in Nürnberg, sieht daher keinen Trend zu einer Alterung in den Gefängnissen, wenngleich auch hier (ebenso wie beim Justziministerium in München) keine speziellen Statistiken über »alte Knacker« geführt werden. Die JVA in Nürnberg hat einen vergleichsweise starken Durchlauf; durchschnittlich 99 Tage bleibt ein Inhaftierter hinter den Gostenhofer Gefängnismauern. 4500 Männer und Frauen pro Jahr verbringen hier ihre U-Haft oder sitzen ihre Strafe ab: Männer bis maximal zwei Jahre, Frauen höchstens drei Monate Haftstrafe.
Anders sieht es dagegen in Gefängnissen aus, in denen richtig schwere Jungs beziehungsweise schwerkriminelle Frauen einsitzen – und die hinter Gitter altern. Ihr Anteil nimmt tatsächlich erheblich zu. So waren im Jahr 1994 bundesweit nur 588 Inhaftierte über 60. Elf Jahre später waren es dreimal so viele, nämlich 1767. In mehreren Bundesländern gibt es deshalb Überlegungen, spezielle Seniorengefängnisse einzurichten. In Schwalmstadt in Hessen wurde eine eigene Alten-Abteilung geschaffen; Nordrhein-Westfalen plant ebenfalls eine Einrichtung für alte Häftlinge. Auch im baden-württembergischen Singen am Bodensee gibt es ein Gefängnis für über 62-Jährige. In diese Außenstelle der JVA Konstanz kommt freilich niemand, der bei einem Unfall davongefahren ist oder ein paar Flaschen Schnaps geklaut hat. Betrüger und Gewalt-, vor allem aber Sexualverbrecher (überwiegend wegen Kindesmissbrauchs) werden hierhin eingewiesen.
Ein Grund für die Trennung der Generationen liegt in den rauen Sitten innerhalb des Knasts. Während »draußen« das Zusammenleben von Jung und Alt meistens von gegenseitiger Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen und Achtung getragen ist, gelten solche Regeln im Gefängnis nicht. Jeder trachtet nach seinem Vorteil. Die älteren, körperlich meist unterlegenen Inhaftierten haben in einem solchen Umfeld kaum eine Chance, hat der Konstanzer Anstaltsleiter Peter Rennhak beobachtet. Auch Therapieangebote, die medizinische Versorgung und selbst die bauliche Einrichtung wie Handläufe an den Treppen sind in einem normalen Gefängnis nicht seniorengerecht.
Im bayerischen Justizministerium sieht man gleichwohl keinen Handlungsbedarf für eine auf Senioren zugeschnittene JVA. »Wir sehen kein spezielles Bedürfnis«, sagt Pressesprecher Stefan Lenzenhuber. Es komme vor allem auf den Gesundheitszustand des Inhaftierten an. Wer im normalen Gefängnisbetrieb nicht mehr klarkomme, kann zunächst auf die Krankenabteilung verlegt werden.
89-Jährige entschied sich für die Haft
Bei weitergehenden Beschwerden werde überprüft, ob der alte Mensch überhaupt noch haftfähig sei. Außerdem, so Lenzenhuber, überwiegen aus bayerischer Sicht die negativen Aspekte: Würde der Freistaat eine spezielle Alten-Haftanstalt einrichten, wären viele Gefangene noch weiter von Familie, Verwandten und Bekannten entfernt: »Soziale Kontakte werden dadurch erschwert.«
Ganz selten kommt es vor, dass ein alter Mensch das Gefängnis dem Leben in Freiheit vorzieht. Der Nürnberger JVA-Leiter Hans Welzl erinnert sich an den Fall einer 89-Jährigen, der ältesten Inhaftierten, die er in der Mannertstraße kennengelernt hat. Die betagte Dame war betrunken Auto gefahren, über eine Verkehrsinsel gedonnert und hatte Fahrerflucht begangen. Sie war zu einer Geldstrafe verurteilt worden oder ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe. Die Frau habe sich für die Haft entschieden, berichtet Welzl. Schließlich war es Winter und ihre Wohnung schlecht geheizt. Außerdem, so hatte die Seniorin gesagt, »täten ihr die Mädchen, wie sie die Vollzugsbeamtinnen nannte, »ganz gut«.
Georg Klietz

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