Es ist der dicke Täuberich, der mit seiner Frau in unserem Innenhof wohnt. Ich kenne ihn, und er kennt mich – es ist eine angenehme Bekanntschaft. Sie begann im letzten Winter, als er, zusammen mit seiner Frau, die Nachlese auf dem Futterplatz für Amsel, Spatz und Meise hielt. Da inzwischen, jahreszeitlich bedingt, die Vogelwelt auf Selbstversorgung umgestiegen ist, treffen wir uns außer der Reihe auf meiner Terrasse und ich spendiere ihm aus lauter Freundschaft ein paar Haferflocken. Wir wissen beide, dass das verboten ist und lassen uns nicht erwischen. Er spaziert behäbig unter den Gartentisch und pickt mit sehr viel Anstand jedes Flöckchen einzeln auf. Ist die Mahlzeit beendet, verlässt er die Terrasse zu Fuß und tut, als wäre nichts gewesen. Seine Frau sitzt auf dem Dachfirst gegenüber und beobachtet gleichmütig den Restaurantbesuch ihres Gemahls.
Neulich haben sie kurz ihr Junges vorgestellt: eine schlanke Taube mit eleganten dunklen Streifen über dem hellgrauen Rücken. Inzwischen hat sich das Taubenkind selbstständig gemacht, und die Eheleute haben den Innenhof wieder für sich, zusammen mit einer Spatzenschar, die jedes Täuberich-Gurren akustisch lässig übertönt.
Manchmal schreibe ich meinem Taubenpaar menschliche Verhaltensweisen zu und denke, die zwei schlagen ihrer Feindin ganz bewusst ein Schnippchen. Vielleicht kichern sie insgeheim über Tücher, Netz und Raubvogelattrappen und lachen sich schief, wenn die Gegnerin auf die bewehrte Balkonbrüstung herausstürzt und wild einen Besen schwenkt, um das Gesindel zu vertreiben. Was für ein Getue!
Auf der anderen Seite, dem Platz vor unseren Häusern, sehe ich meine Mitmenschen laufen und lagern: auf Bänken oder auf Stufen vor dem Brunnen sitzend, essend, trinkend, krümelnd und ihren Müll hinterlassend. Am späten Abend, wenn die Letzten sich heimwärts begeben haben, gleicht der hübsche Platz einer Müllhalde. Aber macht nix: Das ist die Zivilisation! Der Mensch, das vernunftbegabte Wesen, entscheidet allein, für wen und wo auf der Erde Platz ist. Für Tauben eher weniger, vielleicht auf freiem Feld, aber keineswegs auf öffentlichen Plätzen und vor allem nicht im Hinterhof. Da können sie noch so ordentlich den letzten Krümel aufpicken!
Brigitte Lemberger