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Über die Bedürfnisse der nächsten Altengeneration gehen die Meinungen auseinander. Foto: Bogdan Itskovskiy
Über die Bedürfnisse der nächsten Altengeneration gehen die Meinungen auseinander. Foto: Bogdan Itskovskiy
Die Stadt hat ihren Magnetismus. Sie zieht Menschen an – seit vielen Jahrhunderten schon. Im Mittelalter galt die Parole, Stadtluft mache frei. Die Moderne schuf die Maschinenindustrie mit ihren vielen neuen urbanen Arbeitsplätzen. Und derzeit zieht man nach einer kurzen Epoche der Stadtflucht (Motto: Mein Häuschen im Grünen) wieder in die Metropolen, weil es hier die Infrastruktur gibt, die aus dem ländlichen Raum verschwindet: Einkaufsmöglichkeiten, Kommunikationsorte, Einrichtungen für Gesundheit und Pflege. Das sind auch Angebote für die älteren Generationen. Der Besuch bei den Großeltern auf dem Lande wird zur Rarität. Die Senioren drängen in die Städte.

Für das Wissenschaftsjahr 2015 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung diese Entwicklungen unter der Überschrift »Zukunftsstadt« zum Thema gemacht. Selbstverständlich fühlt sich unser Magazin sechs+sechzig vom angestoßenen Diskurs gefordert. Wir wollen mitreden – und haben dazu jüngst unter dem Titel »Dauerstress im Ruhestand?« im Südstadtforum Nürnberg eine Diskussion organisiert. An dem offenen Gespräch (man nennt das heute »Fishbowl«) nahmen Nürnbergs Sozialreferent Reiner Prölß, der Erlanger Psychogerontologe im Unruhestand Prof. Heinz Jürgen Kaiser und Wolfgang Gillitzer, Chef einer Werbeagentur, als Vertreter der Generation 50 plus Platz. Die Moderation hatten Alexandra Buba und Georg Klietz aus der sechs+sechzig-Redaktion.

Um den Dauerstress der Senioren – bestünde er nun aus (Selbst-)Forderung oder (Selbst-)Überforderung – ging es aber bei dem
Gespräch gar nicht. Es ging um Träume, Pläne, Trends und Notwendigkeiten eben für die Zukunftsstadt aus dem Blickwinkel der
Generation 50 plus. Wolfgang Gillitzer lieferte dazu Visionen. Er glaubt nicht an eine konkrete Lebensphase des Ruhestands. Die
würden sich viele Senioren gar nicht mehr leisten können. Nicht nur, dass die Schere zwischen Reich und Arm in Deutschland
stärker auseinander klaffen wird. Die finanziellen Versorgungssysteme für das Alter entwickeln sich ständig prekärer. Wer im
Alter aber noch schafft, will sich nicht in einem Generations-Getto sehen. Wolfgang Gillitzer stellt sich selbst an Orten vor, an denen Jung und Alt ohne Schranken verkehren. Er erwähnt das heutige »K4« in Nürnberg, ehemals KOMM – einen Ort, an dem frühere Jugendaktivisten alt geworden und Junge weiterhin aktiv sind.

Man kann einwenden, dass sich da eine uralte KOMM-Utopie artikuliert. Man muss sich fragen, ob die Einrichtung solcher intergenerationeller Treffpunkte zu den Aufgaben der Kommunalpolitik gehört. Oder ob die Generationen nicht doch stärker in Konfrontation gegeneinander geraten werden, wenn der Altersberg weiter anwächst, wenn immer weniger Arbeitende immer mehr Empfänger von Altersbezügen finanzieren müssen. Der Psychogerontologe Heinz Jürgen Kaiser glaubt, dass viel von den Renten in die jüngeren Generationen fließt, dass zahlreiche Senioren in Familien oder Institutionen soziale Service-Leistungen einbringen. Wenn aber drohende Generationenkriege in der Gesellschaft angesprochen werden, kommen auch vom Wissenschaftler nur Glaubensäußerungen, diese Kriege werde es schon nicht geben.

Sozialreferent Reiner Prölß hat die Aufgabe, Trends, Tendenzen, Entwicklungsberechnungen, Statistiken in konkrete Politik umzusetzen. Die Stadt muss nicht nur Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stellen, sie ist auch verantwortlich für Begegnungsstätten oder einen öffentlichen Nahverkehr, der unter anderem seniorengerecht sein sollte. Für Prölß zeichnet sich dabei ein Problem ab: Es gibt »das Alter« nicht mehr. Es gibt inzwischen eine Vielfalt von Alterskulturen, die von hilfsbedürftig Dementen bis zu fitten Senioren-Triathleten reicht. Was können und sollen Seniorentreffs noch leisten (die Wolfgang Gillitzer gar nicht besuchen will)? Am stärksten wächst in Nürnberg der Senioren-Computerclub. Die Alten gehen mit der Zeit. Prölß spricht davon, dass man die bisherige Programmkultur kommunaler Institutionen womöglich in eine »Ermöglichungskultur« verwandeln müsse.

Wildwuchs in der Zukunftsstadt

Folglich macht man sich im Stadtrat Gedanken über Strukturveränderungen beim Seniorenamt, über Akzentverschiebungen in städtischen Begegnungsstätten wie Bleiweiß oder Heilig-Geist. Die Diskussion wird in jedem Fall politisch. Wobei einige Bedürfnisse der Senioren, auf die Prof. Heinz Jürgen Kaiser hinweist, offensichtlich zu wenig im Blick der Kommunalpolitiker sind: ihre Sorge um Unterstützung, etwa durch Service-Personal in Verkehrsmitteln oder bei der Polizei. Oder die Ausdünnung
öffentlicher Toiletten in der Stadt, die mit zunehmendem Alter zunehmend problematisch werden kann. Oder das Gefühl des
Kontrollverlustes in der mobilen Gesellschaft. Dabei kann es durchaus sein, dass der radelnde Senior dem Senior als Fußgänger
bedrohlich in die Quere kommt. Hier würde es kommunalpolitisch kostenintensiv, hier müssten verkehrsideologische Prämissen
in Frage gestellt werden. Deswegen dürfte sich die Zukunftsstadt in diesen Bereichen weiterhin im Wildwuchs entwickeln.

Trotzdem wird die Seniorenpolitik in einem gewissen Dauerstress bleiben müssen. Es gibt nämlich positive Zukunftsentwürfe wie
den intelligenten Rollator, der zum Beispiel die Einkaufsgewohnheiten seines Nutzers kennt. Andererseits wird der alte Mensch
durch die angeblich segensreiche Technik wieder ein Stückchen entmündigt. »Wir müssen uns unbedingt als Handelnde
begreifen«, meint Kaiser. Vor allem als Ältere. Nur als körperlich Handelnde können wir zum Beispiel den Pflegestand hinausschieben, auf den viele von uns unweigerlich zugehen. Die Zukunft der Seniorenpolitik ist ein höchst komplexes Feld. Immer mehr alte Menschen kommen aus unterschiedlichen Kulturen, die auch unterschiedliche Umgangsformen mit dem Alter kennen. Da wird die Idee barrierefreier Rockarenen für die Generation Elvis und Stones allein nicht genügen. Stadtutopien sind sowohl eine literarische Gattung wie ein konkreter Problementwurf der Gesellschaftspolitik. Vor ein paar Jahren war die seniorengerechte Stadt kaum ein Thema, wenn es um die Zukunft der Urbanität ging. Jetzt zwingt sie sich als Dringlichkeit auf. Wir werden den Diskurs weiter beobachten. Und wir werden das Unsere dazu sagen, wenn es nötig wird.

Herbert Heinzelmann

Foto: Bogdan Itskovskiy

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