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PolendienstRund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, davon werden fast 600.000 Männer und Frauen von ambulanten Pflegediensten zu Hause versorgt. In nahezu jedem zehnten dieser Haushalte lebt inzwischen auch eine osteuropäische Haushaltshilfe, wie eine Studie der Evangelischen Hochschule Nürnberg ergab. Für die betroffenen Familien bringt dies Entlastung – allerdings zu einem hohen Preis.
Gudrun Prokop ist froh, dass sie ihre Jolanta hat. Schon als die Polin vor gut einem Jahr mit dem Bus anreiste und bei der elterlichen Wohnung in Nürnberg-Leyh anklingelte, habe sie gewusst: »Die Frau passt zu uns.« Gudrun Prokop stand damals vor der schwierigen Situation, eine schwerkranke Mutter aus dem Krankenhaus holen und zurück zu ihrem dementen Vater in die Wohnung bringen zu müssen. Gudrun Prokop ist selbst berufstätig und wohnt in Puschendorf im Landkreis Fürth. Sie kann die tägliche Versorgung ihrer Eltern nicht leisten. In ihrer Not wandte sie sich an die »Seniorenpflege rund um die Uhr«. Vier Tage später steht um sechs Uhr morgens Jolanta vor der Tür.
Heute kümmert sich die Polin um den dementen Vater, die Mutter ist inzwischen verstorben. Ein Pflegeheim möchte ihm Gudrun Prokop nicht zumuten. »Meine Eltern wohnten seit 1956 in dieser Wohnung. Hier findet er die Toilette – auch wenn er nach dem Weg fragen muss. In einem Heim wäre das anders, der Ortswechsel würde ihn komplett aus der Bahn werfen«, sagt sie. Jeden Monat muss sie für Jolanta 1900 Euro bezahlen, direkt an deren polnischen Arbeitgeber, der ihr taggenaue Abrechnungen schickt.Nicht jeder kann sich das leisten, zumal das Pflegegeld – besonders im Fall der alleinigen Demenz – meist nur einen verschwindend geringen Teil davon abdeckt. Hat dagegen jemand Pflegestufe II, so bekommt er als »Sachleistung« 1100 Euro, die als Zuzahlung für ein Pflegeheim genommen werden. Als Pflegegeld erhält er hingegen nur 440 Euro. Ein Pflegeheim kostet im Schnitt etwa 2500 Euro im Monat, daher bleiben an der Familie Kosten in Höhe von 1400 Euro hängen. Für eine osteuropäische Kraft fallen Kosten in Höhe von knapp 2000 Euro an, bei Zuzahlung von 440 Euro fehlen noch 1560 Euro, die die Familie selbst aufbringen muss. Der Unterschied zum Heim ist dann nicht so groß.
Bei derart hohen Kosten ist die Versuchung groß, auf illegale Weise eine Kraft zu beschäftigen. Die kostet nämlich meist nur 1000 Euro pro Monat. »In der Tat ist Schwarzarbeit das größte Problem«, weiß Michael Eberle von der Agentur Promedica Plus, die Haushaltshilfen aus dem Ausland vermittelt. Das aber kann am Ende teuer werden. Denn wer vom Zoll erwischt wird, wird plötzlich als Arbeitgeber eingestuft und muss Sozialversicherungsbeiträge für mehrere Jahre nachzahlen.
Ansprechpartner vor Ort
Eberle rät daher, sich in jedem Fall an eine seriöse Agentur zu wenden. »Agenturen, die Ihnen eine Polin aus Berlin besorgen, gibt’s wie Sand am Meer. Seriöse Anbieter erkennen Sie daran, dass Sie einen Ansprechpartner vor Ort haben«, erklärt der Fachmann. Außerdem müssen Familien, die eine ausländische Haushaltshilfe (es gibt übrigens auch männliche) engagieren wollen, darauf achten, dass diese bei einer polnischen Firma angestellt ist. Die Hilfe sollte weder bei der Agentur beschäftigt noch selbstständig sein. Seriöse Anbieter verlangen zudem keine Vermittlungsgebühren, sondern bieten transparente Komplettpreise, die taggenau abgerechnet werden. Damit ist freilich das Grundproblem – die hohe finanzielle Belastung – noch nicht gelöst.
Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit, die vielen Angehörigen im ersten Moment nicht bewusst ist: Die ausländischen Haushaltshilfen sind keine ausgebildeten Pflegekräfte. »Sie dürfen im Grunde keine Medikamente verabreichen, keine Wundversorgung machen und eigentlich auch keinen Kompressionsverband anlegen«, erklärt Regina Beutel, die in der ambulanten Krankenpflege der Diakonie Team Noris arbeitet und sich im Netzwerk Demenz engagiert. Dennoch würden genau diese Dinge oft gemacht. »Wir haben es gar nicht gern, wenn die Haushaltshilfen die medizinische Pflege übernehmen«, erklärt Beutel. »Es passieren einfach Fehler.« Da werde ein Antibiotikum nicht gegeben, weil die polnische Kraft gar nicht verstehe, was das sei, wie man es anwende und wogegen es helfe. Am Ende beschwerten sich dann die Angehörigen beim Pflegedienst.
Oft kommt dieser aber gar nicht mehr zum Zug. Denn sowohl aus finanziellen Gründen – es fallen Zuzahlungen an – als auch aus dem Willen, dass »kein Dritter mehr so genau drauf schauen soll“, verzichten viele Angehörige auf eine professionelle medizinische Pflege. Das ist heikel, denn tatsächlich haben die meisten Haushaltshilfen kaum pflegerische Grundkenntnisse, wie die Studie der Evangelischen Hochschule Nürnberg ergab.
Nur in einem Fünftel der Haushalte waren – nach Auskunft der Haushaltshilfen – auch ausgebildete Pflegekräfte vor Ort, um den Gesundheitszustand regelmäßig zu kontrollieren. Dies bemängeln professionelle Pflegedienste zurecht, wenngleich sie selbstverständlich auch in einem gewissen Wettbewerbsverhältnis zu den osteuropäischen Kräften stehen. Allerdings wird der Konkurrenzkampf laut Studie offensichtlich nicht in erster Linie um die hauswirtschaftliche Versorgung geführt, weil diese nur bei einem knappen Drittel der Dienste die Haupteinnahmequelle ist.
»Es ist ein zweischneidiges Schwert«, sagt Barbara Klug, Geschäftsführerin der Caritas Sozialstation und Tagespflege Nürnberg-Nord. »24-Stunden-Pflege können wir höchstens für drei Wochen leisten, sowohl was die Kosten für die Patienten als auch unsere eigenen Kapazitäten angeht. Deshalb gehen wir eben in Kooperation, wenn jemand das benötigt und zu Hause bleiben möchte.« Die Caritas empfiehlt dann die »Seniorenpflege rund um die Uhr« in Fürth und die SeniorenPartner aus Nürnberg.
Wichtig ist Barbara Klug, dass die Regeln eingehalten werden: faire Bezahlung und zwei freie Tage pro Woche. Während dieser Zeit können Pflegebedürftige etwa in die Tagespflege gebracht werden, wie Gudrun Prokops Vater. Außerdem ist immer ein Wechsel nach zwei bis drei Monaten vorgesehen, wenn die Frauen in ihre Heimat zurückkehren und eine Kollegin die Betreuung übernimmt.
Das ist nach einem solchen Zeitraum oft auch aus Sicht der Haushaltshilfen nötig: Über die Hälfte von ihnen arbeitet laut Studie in einer Sieben-Tage-Woche, nahezu alle neun bis zwölf Stunden täglich. Als Lohn dafür erhalten sie zwischen 1000 und 1500 Euro zuzüglich Fahrtkosten in die Heimat und Feiertagszuschläge. Kost und Logis sind zwar frei. Die Hälfte der in der Studie befragten Kräfte hält dieses Einkommen trotzdem für zu gering.
Wer hat die passenden Räume
Die meisten von ihnen telefonieren täglich mit Kindern, Ehepartnern, Eltern und Geschwistern, um den Kontakt zu ihnen aufrecht zu erhalten. Denn auch die Haushaltshilfen haben Familien und in manchen Fällen selbst pflegebedürftige Eltern. Allein die materielle Bedürftigkeit und Perspektivlosigkeit im Heimatland treibt sie in die Pendelmigration. »Ich sehe das ganze System auch kritisch«, sagt die Pädagogin und Dekanatsfrauenbeauftragte Christine Biemann-Hubert von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit Schwabach. »Wir haben einen Mangel an Pflegekräften, insbesondere in Heimen, weil der Beruf sehr anstrengend und vor allem schlecht bezahlt ist. Andererseits ist eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause über unser deutsches System zu teuer. Deshalb holen wir ›billige‹ Pflegekräfte aus dem Ausland.«
Daran schließen sich weitere Fragen an: Eine Pflegekraft unterm eigenen Dach zu haben ist sehr vorteilhaft, doch wer kann ihr die entsprechenden Räume zur Verfügung stellen? Was passiert in der Zwischenzeit mit den Familien und Senioren der ausländischen Pflegekräfte, die für zwei bis drei Monate in Deutschland sind? Wie sind die Frauen abgesichert, wenn der zu Betreuende plötzlich stirbt oder ins Pflegeheim muss? Das ist alles nicht einfach zu beantworten. Deshalb initiieren die Dekanatsfrauenbeauftragten im November eine Veranstaltung mit dem Titel »Hilfe – wir haben einen Pflegefall in der Familie! Holen wir uns eine ausländische Pflegekraft!?«. Die Veranstaltung soll helfen, die richtige Entscheidung für die eigene Familie zu treffen.
Auch die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse lassen sich verbessern. Die Studie der Evangelischen Hochschule regt etwa an, dass ambulante Pflegedienste Schulungen in pflegerischen Grundkenntnissen durchführen. Weiteren dringenden Qualifizierungsbedarf gibt es auch bei den Sprachkenntnissen. »Jolanta kann ziemlich gut deutsch«, sagt Gudrun Prokop, »und für den Fall, dass es doch mal schwierig wird, hat sie immer ihr Wörterbuch dabei.« Auch Barbara Klug weiß, wie wichtig die Sprache ist. »Wir unterstützen den Spracherwerb und haben auch
schon mal ein Kinderbuch zum Lesen mitgebracht. Es ist wichtig, den Leuten zu helfen, miteinander zu reden und sie nicht einfach allein zu lassen.«
Alexandra Buba
Fotos: privat (1), Mile Cindric (2)
Wer osteuropäische Haushaltshilfen engagiert, muss einige Regeln beachten
Die Veranstaltung »Hilfe – wir haben einen Pflegefall in der Familie! Holen wir uns eine ausländische Pflegekraft!?« der
Dekanatsfrauenbeauftragten im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg findet statt am Freitag, 14. November 2014, 18.00 Uhr im
Eckstein, Burgstraße 1–3 in Nürnberg.

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