Mit zunehmendem Alter fragen sich viele Autofahrer, ob und wie lange sie noch mit ihrem Fahrzeug sicher unterwegs sein können. Wer Jahrzehnte lang einen Führerschein besessen hat, trennt sich nicht leicht von seinem »Lappen«. Immerhin steht das Dokument für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Freiheit statt Einschränkung – so lässt sich das Lebensgefühl von Annelie (68) und Hannes (75) Matthiessen aus Nürnberg beschreiben, die zwar nicht ihren Führerschein aufgegeben, sich dafür aber bereits vor 17 Jahren endgültig von ihrem Auto getrennt haben. »Wir vermissen das Auto nicht. Ganz im Gegenteil: Nach einer etwa sechsmonatigen Zeit der Umstellung fühlen wir uns sogar entlastet. Keine Parkplatzprobleme mehr, vorbei der Ärger über steigende Benzinpreise, die Kfz-Steuer und die Wartung.«
Der Umwelt zuliebe beteiligte sich das Ehepaar 1993 zunächst an einem Car-Sharing-Projekt. Doch die Idee, dass sich mehrere Personen ein Fahrzeug teilen, setzte sich damals nicht durch. Dennoch stellten die Matthiessens dadurch fest, dass sie immer weniger »Lust auf das Auto« hatten. Sie verzichteten auf die erneute Anschaffung eines Fahrzeugs, obwohl ihre Berechnungen ergeben hatten, dass ihr Leben mit vielen Taxirechnungen wohl teurer werden würde.
Wie es sich im Nachhinein zeigte, fahren sie ohne Auto doch günstiger als ursprünglich gedacht, denn kulturelle Aktivitäten und Ausflüge in die Umgebung unternehmen sie mit Bus oder Bahn oder gemeinsam mit ihren noch motorisierten Freunden. Die Teuerung der öffentlichen Verkehrsmittel gleichen sie aus, indem sie, so oft es geht, bei jedem Wetter mit dem Fahrrad unterwegs sind.
In einigen Regionen Deutschlands wie im Raum Karlsruhe oder in Saarbrücken werden längst Seniorentickets für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel angeboten. Mitunter gibt es ein Gratis-Jahresticket für diejenigen Autofahrer, die ihre Fahrerlaubnis freiwillig aufgrund ihres Alters zurückgeben. Der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) ist davon allerdings noch meilenweit entfernt. Das macht es Senioren sicher nicht leichter, ihren Führerschein abzugeben.
Ein Interview mit Prof. Hans-Jürgen Kaiser, der sich vor seinem Ruhestand sehr intensiv an der Universität Erlangen-Nürnberg mit gerontopsychologischen Fragen beschäftigt hat.
sechs+sechzig: Professor Kaiser, glaubt man den Meldungen in den Medien, fallen gerade ältere Autofahrer immer wieder als Verursacher von Verkehrsunfällen, mitunter schweren, auf. Übertreiben diese Berichte oder trifft das tatsächlich zu?
Hans-Jürgen Kaiser: Alle bisherigen Untersuchungen zeigen auf, dass dies, so allgemein ausgedrückt, nicht zutrifft. Absolut gesehen, geht ihr Anteil an den Autounfällen sogar kontinuierlich zurück. Das dürfte aber auch daran liegen, dass sie mit steigendem Lebensalter immer weniger mit dem Auto unterwegs sind. Vergleicht man das Unfallrisiko mit der sinkenden Fahrleistung der Älteren, sieht man, dass das Risiko spätestens ab dem 75. Lebensjahr deutlich ansteigt. Aber auch dann erreicht es noch nicht das Niveau der Fahranfänger. Teilt man die Altersgruppen noch feiner auf, wird erkennbar, dass Menschen, die deutlich über 80 Jahre alt sind, ein relativ hohes Unfallrisiko (gemessen an ihrer Fahrleistung) haben. Es stimmt auch, dass in den aktuellen Statistiken, sowohl des Statistischen Bundesamtes als auch der Versicherungswirtschaft, Autofahrer von 65 bis 75 Jahren zu etwa 60 Prozent als Hauptverursacher eines Unfalls mit Personenschaden gelten. Bei den über 75-Jährigen steigt die Unfallquote sogar auf knapp 80 Prozent. Allerdings gehen in die Unfallstatistik die Feststellungen bei der Unfallaufnahme ein und nicht etwa jene, die später durch Gerichte entschieden werden.
Ab wann sollte man auf das Autofahren ganz verzichten?
Zur Gefahr für sich und andere wird man auf jeden Fall, wenn man sich akut erkrankt oder mit einschränkenden chronischen Krankheiten hinters Steuer setzt. Dazu gehören zum Beispiel eine nicht ausreichend behandelte Diabetes, nicht genügend korrigierte Sehfehler, Augenerkrankungen wie Katarakt oder Makula-Degeneration, schwerere Parkinson-Symptome oder alle Anzeichen einer Demenz. Das heißt, man sollte auf das Autofahren ganz verzichten, wenn beispielsweise der Hausarzt das empfohlen hat, unter anderem vielleicht auch aufgrund der Einnahme von bestimmten, die Fahrtauglichkeit einschränkenden Medikamenten.
An welchen Anzeichen kann man bei sich selbst erkennen, dass man als Verkehrsteilnehmer zur Gefahr für sich und andere wird?
Ältere Autofahrer können etwa an Reaktionen anderer Menschen etwas über die eigene Fahrfertigkeit erfahren, zum Beispiel, wenn man öfter als früher angehupt oder sonst wie ermahnt wird. Auch wenn man bei sich selbst Fahrfehler feststellt oder Mitfahrer einen darauf aufmerksam machen. Manchmal fällt einem auf, dass man deutlich langsamer geworden ist, dass man sich draußen nicht mehr so gut und sicher orientieren kann wie früher. Solche Anzeichen sind Anlässe, die eigene Fahreignung genauer unter die Lupe zu nehmen. Einen festen Zeitpunkt für den Rückzug vom Steuer gibt es natürlich nicht. Sogar 90-Jährige können in Einzelfällen noch ohne erhöhtes Risiko fahren, wenn das auch nicht so häufig vorkommt. Zudem erweisen sich die inzwischen von der Autoindustrie angebotenen elektronischen Fahrassistenzen wie Einparkhilfen, Abstandssensoren und Navigationssysteme als hilfreich.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe für das Festhalten am Führerschein, obwohl man dem Verkehrsstress immer weniger gewachsen ist?
Der Führerschein ist ein ganz besonderer Ausweis. Er ermöglicht Mobilität nach Wunsch. Er beweist, dass man noch zu den rüstigen, selbstständigen Alten, aber auch noch irgendwie zu den Jüngeren dazugehört. Der Führerschein hat also eine große emotionale Qualität. Außerdem bietet das Auto mit seiner Privatsphäre gerade für Ältere mehr »gefühlte« Sicherheit als z.B. die öffentlichen Verkehrsmittel, allen voran die U-Bahn. Er ist somit ein hervorragendes Mittel zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum selbstständigen Organisieren des Alltagslebens. Niemand von uns dürfte so etwas leicht hergeben wollen.
Inwieweit sind Autofahrer selbstkritisch genug, um von sich aus freiwillig auf das Auto zu verzichten ?
Genaue statistische Angaben hierzu gibt es verständlicherweise nicht, denn Selbstkritik von Autofahrern ist wohl nur schwer repräsentativ zu erfassen. Aber es gibt die Möglichkeit, ihre Haltung abzuschätzen. Den Ergebnissen einer aktuellen Studie zum Selbstbild von Autofahrern zufolge neigen diese generell dazu, die Mitglieder der eigenen Altersgruppe positiver zu beurteilen als die anderer Altersgruppen. Zudem sehen sich die älteren Autofahrer von heute überwiegend als gute oder sogar sehr gute Fahrer, während sie zugleich in Bezug auf andere ihrer Altersgruppe negativer urteilen, d.h. deren Probleme und Schwächen hervorheben. Man könnte hier durchaus einen Mangel an einem reflektierten Umgang mit sich und anderen vermuten. Ich denke, hier könnte Verkehrsaufklärung und Verkehrssicherheitsarbeit im Dienste der Senioren noch einiges an Arbeit leisten.
Wie motiviert man als naher Angehöriger oder Freund den Gefährdeten zur Aufgabe seines Autos bzw. zur Abgabe des Führerscheins?
Angehörige oder Freunde haben es gewiss schwer, Ältere davon zu überzeugen, dass eine kritische Einschätzung ihrer Fahrtauglichkeit oder Fahreignung angebracht ist. Die emotionale Nähe zu den Betroffenen ist hier eher hinderlich. Erfolgversprechender ist der Weg über fachkundige »neutrale« Menschen, die auch für den Betroffenen vertrauenswürdig sind. Deswegen habe ich Maßnahmen zur Verkehrsaufklärung angesprochen. Beispielsweise sollten sich Institutionen wie die örtlichen Verkehrswachten oder auch der ADAC verstärkt in die Beratung Älterer einklinken, interessante Veranstaltungen für ältere Autofahrer anbieten und auf diesem Wege ohne Peinlichkeiten die Fähigkeit fördern, das eigene Fahrvermögen genau zu hinterfragen.
Kann man sich freiwillig testen lassen?
Freiwillige Tests auf Fahreignung bei einschlägigen Untersuchungsstellen sind möglich, müssen jedoch selbst bezahlt werden. Der ADAC in Nürnberg bietet solche Tests günstig an. (Siehe Info)
Was halten Sie von gesetzlich verordneten Tests für Autofahrer ab einem bestimmten Alter?
Die meisten Experten in Deutschland, auch die auf dem regelmäßigen Verkehrsgerichtstag in Goslar, sind sich einig, dass dies kein sehr sinnvoller Weg ist, auch wenn in anderen europäischen Ländern Autofahrer mit 65 oder 70 beispielsweise einen Gesundheitscheck absolvieren müssen. Die Verhältnisse in den Unfallstatistiken dort sind keine anderen als bei uns auch, sodass eine Sonderüberprüfung der älteren Autofahrer häufig als eine gewisse Diskriminierung angesehen wird. Anders wäre es, wenn die Fahrerlaubnis generell nicht auf Lebenszeit, sondern nur jeweils für 10 oder 15 oder 20 Jahre ausgegeben würde und danach regelmäßig erneuert werden müsste. Nur wäre dann genau zu überlegen, was bei diesen regelmäßigen Überprüfungen eigentlich alles untersucht werden sollte.
Können Sie ein paar Tipps für diejenigen geben, die aus Altersgründen auf ihren Führerschein verzichten: Wie können die Betroffenen diesen Einschnitt im Alltag am besten meistern?
Zunächst einmal sollten die Betroffenen durchrechnen, wie viel sie die Mobilität mit dem eigenen Auto pro Jahr tatsächlich gekostet hat, an Anschaffung, Unterhaltskosten, Steuern und Versicherung, Reparaturen. Für dieses Geld ließen sich sehr viele notwendige oder auch nur wünschenswerte Fahrten mit dem Taxi machen. Auch sollte man schauen, welche Möglichkeiten bestehen, Unterstützung und Hilfe von anderen Personen zu bekommen, etwa in Form von Mitfahrgelegenheiten. Wenn man dann den Tagesablauf an die bestehenden Mobilitätsmöglichkeiten anpasst, kann man eine zufriedenstellende Situation zumindest zum Teil aufrechterhalten. Übrigens haben sich in den letzten Jahren viele ältere Menschen dazu entschlossen, aus Stadtrandgebieten oder aus dem Umland in die Stadt zu ziehen, weil dort Mobilität, beispielsweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, viel leichter möglich ist. Also: Welche öffentlichen Verkehrsmittel sind in der Umgebung eigentlich verfügbar? Gibt es für sie preisgünstige Wochen-, Monats- oder Jahreskarten? Für kurze Strecken empfehlen sich für die ansonsten noch leistungsfähigen Senioren auch das Fahrrad oder die eigenen Füße: Sie bringen Bewegung in den Körper, was der Gesundheit sicher nicht abträglich ist.
Melita Tilley