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Junge Menschen reden übers Abnehmen, mittelalte übers Langlaufen. Und ältere? Die reden über Krankheiten.
Da will ich nicht zurückstehen.
Ich leide nämlich am Gugelheimer Syndrom. Einer Krankheit, die ich selber erfunden habe. Sie können sie also noch nicht kennen, werden sie aber gleich kennen lernen.
Das Krankheitsbild ist hochkomplex. Der Patient, also ich, fällt im Alltag nicht unangenehm auf. Solange er sein Smartphone dabei hat.
Hat dieses jedoch keine Netzanbindung, ist der Akku leer oder liegt es woanders herum, weist der Gugelheimer-Kranke massive geistige Defizite auf. Bei mir äußert sich das darin, dass ich zum Beispiel nicht mehr weiß, wann die Schlacht bei Königgrätz stattgefunden hat, von welcher Band das Lied »Kommando Pimperle« stammt oder warum Büffelmozarella Büffelmozarella heißt.
Solche Dinge habe ich früher problemlos hersagen können. Jetzt fallen sie mir nicht mehr ein.
Ich weiß jedoch ganz genau, wo ich sie finden würde, hätte ich nur mein Smartphone dabei. Ohne Smartphone stehe ich allerdings dumm herum, fange das Gatzen und Stottern an und ärgere mich darüber, dass ich mir derart simple Dinge nicht mehr merken kann.
Im Internet stieß ich jetzt auf eine Studie (für die, die es genau wissen wollen: Sie ist von Betsy Sparrow, einer Psychologin an der Columbia Universität in New York). Sie geht davon aus, dass wir ein »transaktives« Gedächtnis besitzen. Das heißt, wir merken uns Sachen nicht, wenn wir eine Person oder eine jederzeit verfügbare Quelle kennen, die wir anzapfen können. Wenn mein Partner den Fahrplan auswendig kann, muss ich mir beispielsweise schon mal nicht die Abfahrtzeiten der S-Bahn zum nächsten Dorftrottel-Treffen merken. Wenn mein Handy alle wichtigen Rufnummern speichert, brauche ich damit mein Gedächtnis nicht zu belasten. Das meiste ist allerdings über Google abrufbar. Daher heißt das Syndrom auch GUGELheimer. Das HEIMER wiederum kommt von Alzheimer, schließlich geht es ums Vergessen.
Diese Krankheit hat echtes Pandemie-Potenzial und darf schon deshalb nicht unterschätzt werden. Man stelle sich nur einmal vor, irgendwann fällt vermehrt der Strom aus, dann haben wir nicht nur kein Privatfernsehen mehr, dann kann uns auch keiner mehr sagen, wann das Konzil von Konstanz stattfand. Gar nicht auszudenken!
Gugelheimer gehört also bekämpft, und zwar rechtzeitig. Am besten in Gugelheimen, die vergleichsweise kostengünstig betrieben werden könnten, da dort das Pflegepersonal weniger wichtig ist als der WLAN-Anschluss.
Ach so. Falls irgendein Professor diese Ausführungen lesen sollte, dann möchte ich freundlichst anfragen, ob er mir für meine neuartigen Erkenntnisse nicht einen Doktortitel verleihen möchte. Ich würde ihn auch dezent verwenden. Aber zum einen finde ich den Hut cool. Zum anderen würde ich Begrüßungen, wie »Servus, Depp!« gerne mit »Dr. Depp! So viel Zeit muss sein!« beantworten.
Peter Viebig

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