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An den Pissoirs im Herrenklo drehen sich die Männer meistens so, dass man nichts vergleichen kann. Wettbewerbe dieser Art sind wohl eher auf die Pubertät beschränkt. Allerdings versuchen erwachsene Männer sich seit einiger Zeit an anderer Stelle mit langen Latten hervorzutun. Das beste Beispiel hierfür war mir neulich ein ehemaliger Kollege. Der rief am nächstbesten Rechner sein Profil im Karrierenetzwerk Xing (www.xing.de) auf. Dann zeigte er uns, welch immens lange Latte an Kontakten er hatte. Weit über 100 Leute standen da mit Bild unter dieser Adresse drin. Je mehr wir die Länge seiner Latte bewunderten, desto mehr wuchs er selbst. Der war sowas von begeistert von sich. »Aus ganz Deutschland…«, frohlockte er. »Hier auch einer aus Barcelona…« Und der da sei »CEO von OEC« (oder so ähnlich). Ich packte mein Schulenglisch aus: »Oh I see!«
Als er dann seine Kontakte langsam durch hatte, fragte ich ihn, wie man denn zu so einer langen Reihe käme. Man müsse sich eben anmelden, sagte er, am besten gleich als Premium-Mitglied. Gnädig bot er mir an, ihn als Kontakt aufzunehmen. Damit ich wenigstens einen hätte. Ohne Kontakt sei man bei Xing »ein Nichts, eine Null«, meinte er. Natürlich, ließ er durchblicken, würde ich es nie zu einem solchen Index bringen wie er. Seiner vergrößere sich nämlich minütlich, und wenn ich eines Tages endlich über 100 Kontakte haben würde, dann stünde er längst bei über 1000. Schon jetzt sei er praktisch mit fast jedem Xing-Mitglied über höchstens drei Ecken liiert, da potenziere sich die Kontaktzahl schnell.
»Jaaa, des mecherd ieech aaa!«. Ich hatte meine Sprache wieder gefunden. Um das zu schaffen, musste jedoch ein Anzug und eine Krawatte her – fürs obligatorische Profilfoto. »Bei Xing sieht es aus wie in einer Werbebeilage von K&L Ruppert«, hatte mir jemand erzählt. C&A, dachte ich, reicht für mich auch. Ich könnte später immer noch nachrüsten. Schwieriger war es dagegen, geeignete Begriffe zu finden, die meine Tätigkeit ins rechte Licht rückten. Als angestellter Hilfsschreiberling würde meine Latte ja immer ein Streichholz bleiben. Bei Xing muss man sich sofort als Führungskraft einstufen! Doch wie das umschreiben, was ich mache? »Oberdepp?« Nein, das hat keinen guten Klang. Ich entschloss mich, einen englischen Begriff dafür zu finden, Google hilft da ja immens: »Chief of the simple minded«. Ich kürzte dies mit CSM ab. Auch dem Namen »sechs+sechzig« fehlte meiner Ansicht nach das internationale Flair für das Xing-Publikum. »Route 66« klang da wesentlich besser, schließlich sind jede Menge Senioren mit ihren Harleys unterwegs. »CSM on Route 66«. Ich war begeistert. Aber nicht lange.
»Was soll der Quatsch?« So beschimpfte mich mein einziger Kontakt, als ich mein aufgepimptes Profil veröffentlicht hatte. Die Folge: ich war diesen Kontakt los. Zerknirscht versuchte ich es mit der Wahrheit. Damit habe ich es – und auch nur, weil ich die Leute analog belatschert und mit Cappuccinos bestochen habe – bis zum heutigen Tag auf 13 Kontakte gebracht. Eine Angeber-Latte schaut wohl anders aus.
Peter Viebig

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