Knut Ketz und Rainer Borrmann haben einiges gemeinsam: Sie haben Jahrzehnte als Ingenieure bei Siemens verbracht und sind beide erst seit kurzem im Ruhestand. Seit vergangenem Jahr teilen sie noch eine ganz andere Erfahrung: »Die Ehefrauen klagen manchmal«, geben sie zu. Nicht, weil Ketz und Borrmann jetzt den ganzen Tag daheim im Weg herumstünden – im Gegenteil. Beide sitzen wieder zehn Stunden in der Woche im Büro. Mit ihren 58 und 67 Jahren leiten die beiden seit 2007 ehrenamtlich die Erlanger Außenstelle des Senior Experten Service (SES), einer Stiftung der deutschen Wirtschaft. Damit sind sie Ansprechpartner für alle in der Region, denen es im Ruhestand ergeht wie ihnen selbst: »Nur Gartenarbeit und Enkelkinder«, sagt Ketz, »das war einfach nicht genug.«
Die Idee, die hinter dem SES steckt: Langjährige Berufserfahrung soll nach dem Ausscheiden aus dem Job nicht einfach versanden, sondern weitergegeben werden an Fach- und Führungskräfte vor allem im Ausland, aber auch an kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland. Ob Schweißerausbildung in der Republik Moldau oder kaufmännisches Wissen für Näherinnen in Kambodscha: Von Erlangen aus schicken die beiden Ex-Ingenieure fränkische Senior-Experten aus ganz Nordbayern in aller Herren Länder. Zwischen drei Wochen und sechs Monaten dauert der Einsatz in der Regel – gegen Kost, Logis und ein kleines Taschengeld. »Die Anfragen nehmen laufend zu«, sagt Ketz – was auch daran liegt, das die beiden Ruheständler stetig die Werbetrommel rühren.
Nicht alle, die in die Welt ziehen, sind bereits reiseerfahren. »Viele sagen auch: Das ist ja wunderbar, der Kulturkreis hat mich schon immer interessiert«, erzählen die beiden Ingenieure. Eine Garantie auf einen Einsatz gibt es allerdings nicht: Wer sich bewirbt und die passende Berufserfahrung mitbringt, wird in den Senior-Experten-Pool aufgenommen. Dort sind mittlerweile deutschlandweit 7600 Fachleute aus 52 Branchen vertreten. Wird beim SES ein Experte angefordert, durchforsten die Mitarbeiter den Pool nach geeigneten Kandidaten und fragen bei ihnen an. Seit der Gründung vor 25 Jahren waren die Fachleute auf diese Weise fast 20.000 Mal bei Firmen, Organisationen oder Entwicklungshilfeeinrichtungen im Einsatz; in 156 Ländern haben sie Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.
Eine Altersobergrenze für den Job als Senior Experte gibt es nicht, der Altersdurchschnitt der Poolmitglieder liegt derzeit bei 66 Jahren. »Ab etwa 70 muss man dann bei einem Auslandseinsatz allerdings etwas aufpassen«, schränkt Ketz ein, die klimatischen Bedingungen und die Lebensumstände in manchen Ländern der dritten Welt seien schließlich nicht zu unterschätzen. Viele gehen nach einem erfolgreichen Einsatz allerdings ein zweites, drittes oder viertes Mal auf die Reise, oder sie werden regelrechte »Wiederholungstäter«.
Ohne geeignete Berufserfahrung geht zwar beim SES nichts. Wer die dortigen Voraussetzungen nicht erfüllt, dem bieten jedoch zahlreiche auch andere gemeinnützige Organisationen Freiwilligendienste auf der ganzen Welt an. Die Spanne reicht von Workcamps, die nur wenige Wochen dauern, bis zu Einsätzen von zwei Jahren. »Wir haben viele Anfragen von Älteren«, sagt Karoline Wiemers-Meyer vom Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee e.V. in Bonn (AKLHÜ), einer Art Dachverband für 30 Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen personelle Entwicklungszusammenarbeit, internationale Freiwilligendienste und entwicklungsbezogene Bildungsarbeit.
Von Friedensarbeit über Umweltschutz bis hin zu Armutsbekämpfung: Auch bei den Freiwilligendiensten sind die Einsätze so unterschiedlich wie die Anforderungen. »Im Vordergrund steht aber hier immer der Wunsch, sich sozial zu engagieren«, betont Wiemers-Meyer. Der berufliche Hintergrund spiele hier eine kleinere Rolle. Kostenlos, wie beim SES, bei dem der Auftraggeber die Kosten trägt, sind die Freiwilligendienste jedoch nicht. »Jeder Teilnehmer muss einen Eigenbeitrag leisten«, sagt Wiemers-Meyer. Die Höhe variiert je nach Arbeit, Dauer und Einsatzland. »Die Organisationen arbeiten aber gemeinnützig und verdienen nicht an den Freiwilligen«, stellt Wiemers-Meyer klar. Kosten entstehen, weil seriöse Organisationen die Teilnehmer nicht einfach ins kalte Wasser werfen, sondern mit Seminaren den Auslandsdienst vor- und nachbereiten und die Freiwilligen auch vor Ort betreuen.
Christine Thurner
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Arbeitskreis »Lernen und Helfen
in Übersee« e.V. (AKLHÜ)
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Tel. 0228 / 90 89 91-0
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