37349 Mal Kopf und Kragen riskiert
Mit kaum acht Jahren stand Raoul Garcia das erste Mal auf der Klippe von La Quebrada. “Ich war ein Waisenjunge und lebte in der Familie meines Onkels Rogeberto Apac Rios. Er war ein Fischer und es gehörte zum Beruf, in die Todesschlucht zu springen, wenn sich die Angelschnüre in den scharfkantigen Klippen verfangen hatten”, erinnert er sich. Aber natürlich geschah dies nicht aus 42 Metern Höhe. Jeder Fischerjunge wollte beweisen, dass er mutiger ist als die anderen, und so wurde immer höher an der steilen Felswand nach oben geklettert. Zuerst wollte man nur den Mädchen von Acapulco imponieren, dann eben auch den Touristen. So entwickelte sich das Felsspringen zum Beruf.
Der Schweizer Jazzmusiker Teddy Stauffer zählte zu den ersten Bewunderern der “Todespringer von Acapulco”. Mit seinem Freund Eroll Flynn war er her gekommen, um ungestört Urlaub zu machen. Und er blieb. Teddy Stauffer eröffnete zunächst ein Restaurant, dann einen Nachtclub und schließlich ein Hotel. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Acapulco zu einem Treffpunkt des internationalen Jet-Set.
Richard Nixon kam zum ersten Mal 1948 nach Acapulco. Teddy Stauffer erkannte die Chance. Er trommelte seine Freunde, die “Todesspringer”, zusammen und sie zeigten ihre Kunst. Raoul Garcia gehörte zu dem Kreis. Er habe dem späteren amerikanischen Präsidenten bei dieser Gelegenheit die Hand geschüttelt, erzählt er. Sofort versprach Teddy Stauffer, zu Ehren der “Clavadistas” ein Hotel gegenüber der Todesschlucht zu bauen. Die noble Herberge, die heute “Plaza las Glorias” heisst, bescherte den “Todesspringern”, den “Clavadistas”, Ruhm und ungeahnte finanzielle Erfolge. Denn den zumeist amerikanischen Touristen saßen die Dollars locker und die jungen Springer sonnten sich im internationalen Ansehen.
Drei US-Dollar kostet heute ein Blick von der Aussichtsplattform gegenüber dem Felsen La Quebrada auf die tollkühnen Männer. Die Kellner auf den Terrassen des Hotels verlangen sieben Dollar (zwei Drinks inclusive).
Schürfwunden, Knochenbrüche und Verletzungen des Trommelfells gehören zum Berufsrisiko. Todesfälle waren bislang nicht zu beklagen. Als besonders gefährlich gelten die Fackelsprünge im Dämmerlicht, wenn der Wellengang in der “Todesschlucht” von der Felsspitze aus nicht mehr zu erkennen ist.
Heute ist das Felsenspringen ein anerkannter Beruf, was Raoul Garcia zu verdanken ist. Er setzte gegen alle Widerstände eine Versicherungspflicht gegen Unfälle und eine Altersversicherung durch. Inzwischen drängen wagemutige Jugendliche aus ganz Mexiko nach Acapulco und hoffen auf viel Ruhm und noch mehr Geld.
Hans-Joachim Weber