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Je älter die Menschen im Durchschnitt werden, desto weniger unterscheiden sich ihre Alter zum Todeszeitpunkt. Foto: epd/Jens Schulze
Je älter die Menschen im Durchschnitt werden, desto weniger unterscheiden sich ihre Alter zum Todeszeitpunkt. Foto: epd/Jens Schulze

Je höher die Lebenserwartung in einer Gesellschaft, desto weniger unterscheidet sich, wie alt die Menschen bei ihrem Tod sind. Forscher entdecken eine neue Regelmäßigkeit für verschiedenste menschliche Kulturen und Epochen.

Je älter die Menschen im Durchschnitt werden, desto weniger unterscheiden sich ihre Alter zum Todeszeitpunkt. Dies folgt einer festen mathematischen Regel, wie Forscher mit Daten aus 44 Ländern belegen. Sinkt die Lebenserwartung in Krisenzeiten kurzfristig, klaffen die Sterbealter nach derselben Regel wieder weiter auseinander.

„Da die Lebenserwartung sehr wahrscheinlich weiter wächst, können wir damit rechnen, dass künftig weniger Menschen als bisher früher sterben müssen als der Durchschnitt“, sagt Alexander Scheuerlein, Forscher am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock. Scheuerlein veröffentlichte die Untersuchung zur Lebensspanne jetzt zusammen mit MPIDR-Direktor James Vaupel und einem internationalen Forscherteam im Wissenschafts-Journal „PNAS“.

Auch in Deutschland ist der Effekt spürbar. Während die Lebenserwartung der Frauen in den alten Bundesländern von 1956 bis 2013 um zwölf Jahre stieg (von 70,9 auf 82,9 Jahre), wurde die Verteilung der Sterbealter um fast 3 Jahre schmaler: Im Jahr 1956 verstarb die Hälfte aller Frauen innerhalb einer Zeitspanne von 15,7 Jahren um das mittlere Todesalter, im Jahr 2013 betrug diese Spanne nur noch 12,9 Jahre.

Die zeitlich immer engere Häufung der Todesfälle bedeute nicht nur, dass weniger Menschen verfrüht – also vor dem durchschnittlichen Todesalter – sterben, sagt MPIDR-Demograf Scheuerlein. Gleichzeitig hätten auch immer weniger das Privileg, deutlich länger zu leben als im Mittel. „Das Ausmaß, in dem die Menschen von der Verlängerung des Lebens profitieren, gleicht sich immer mehr an“, sagt Scheuerlein.

Der Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Häufung der Sterbealter gilt nicht nur im Zeitvergleich innerhalb eines einzelnen Landes. Die Forscher fanden die Regularität auch im Vergleich verschiedener Länder, Geschlechter, historischer Epochen und gesellschaftlicher Systeme. Egal, welche Bevölkerungen die Wissenschaftler verglichen: Demselben Unterschied in den Lebenserwartungen entsprach immer derselbe Unterschied in der Spanne der Sterbealter-Verteilung.

Die gleichen mathematischen Bedingungen treffen dabei selbst für sehr verschiedene Extremfälle zu: Für die modernen Japanerinnen, die mit über 80 Jahren Lebenserwartung derzeit Weltspitze sind, ebenso wie für heute noch traditionell lebende Jäger- und Sammler-Völker (mit etwa 40 Jahren Lebenserwartung) oder die historische Bevölkerung befreiter US-Sklaven in Liberia mit einer mittleren Lebenslänge von zeitweilig nur wenigen Jahren.

Mit Blick auf die Vielfalt der menschlichen Gesellschaften, für die die neue demografische Regel gilt, sei es bisher nicht möglich, deren Ursache auszumachen, sagt Alexander Scheuerlein: „Die Universalität des Zusammenhangs ist verblüffend. Klar scheint bisher nur, dass er etwas mit der soziokulturellen Organisation menschlicher Gesellschaften zu tun haben muss.“

Die PNAS-Studie bestätige die jüngere Forschung, der zufolge weitere Gewinne bei der Lebenserwartung künftig im hohen Alter zu erwarten seien, so Scheuerlein. In der Vergangenheit seien die Sterbealter vor allem deshalb sehr unterschiedlich gewesen, weil die Kindersterblichkeit hoch war. Dadurch ergaben sich zwei Altersgruppen, in denen sich die Todesfälle häuften: Das frühe Kindesalter und – für die, die das Kindesalter überlebten – das Erwachsenenalter. Weil die Schwerpunkte dieser beiden Gruppen weit auseinander lagen, sei es nicht erstaunlich gewesen, dass mit sinkender Kindersterblichkeit die Spanne der Sterbealter schrumpfte und die Lebenserwartung gleichzeitig stieg.

Inzwischen liegt die Kindersterblichkeit aber schon länger auf anhaltend niedrigem Niveau, und der übergroße Anteil der Sterbefälle konzentriert sich auf die höheren Alter. Dennoch verläuft die Entwicklung anhaltend gemäß der neu entdeckten Regel: Die Sterbefälle häufen sich weiterhin in immer kleineren Zeitintervallen, auch wenn die Altersbereiche, die dazu zur Verfügung stehen, bereits kleiner geworden sind und inzwischen hauptsächlich in der fortgeschrittenen zweiten Lebenshälfte liegen. Gleichzeitig erreicht die Lebenserwartung ungebremst höhere Werte. „Auch die neu entdeckte Gesetzmäßigkeit liefert damit keinerlei Hinweise, dass die Lebenserwartung in naher Zukunft zu wachsen aufhört“, sagt Demograf Scheuerlein.

Über das MPIDR

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen: von politikrelevanten Themen des demografischen Wandels wie Alterung, Geburtenverhalten oder der Verteilung der Arbeitszeit über den Lebenslauf bis hin zu evolutionsbiologischen und medizinischen Aspekten der Alterung. Das MPIDR ist eine der größten demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt zu den internationalen Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.

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