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Eva Löhner, Frauenbeauftragte, der Stadt Nürnberg. Foto: Mile Cindric
Eva Löhner, Frauenbeauftragte, der Stadt Nürnberg. Fotos: Mile Cindric

Manchmal zieht man im Leben Bilanz: beruflich, persönlich oder was die Freunde oder die Familie angeht. Sie muss nicht unbedingt so katastrophal ausfallen wie die des Dr. Faust, dem Gelehrten in Goethes gleichnamigem Drama. Es geht auch entspannt, humorvoll und gelassen. Das beweisen die Personen, denen wir die Frage gestellt haben, was sie in ihrem Leben anders machen würden, wenn sie noch einmal jung wären…

Es waren turbulente Jahre im Leben von Eckart Dietzfelbinger (63), einem Spross der gleichnamigen protestantischen Familiendynastie. Zwischen 1979 und 1986 stellte er Weichen in seinem Leben, die (Wunsch-)Spuren hinterlassen haben. Deutsch-Geschichte-Sozialkunde, so hieß die Kombination fürs Lehramtsstudium, in dem er 1980 sein Examen ablegte. Nur, um dann bei dem obligatorischen Lehramtspraktikum in der Nürnberger Bismarck-Schule feststellen zu müssen: »Das kann und will ich nicht.« Deshalb begann der spätere wissenschaftliche Mitarbeiter am Nürnberger »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände« schon während seiner Lehramtszeit 1980 mit seiner Dissertation über die Wiederbewaffnung der beiden deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dr. Eckart Dietzfelbinger (Politologe).
Dr. Eckart Dietzfelbinger (Politologe).

Mit einem Stipendium der Kurt-Tucholsky-Stiftung in der Tasche wühlte er sich zwischen 1980 und 1983 durch die Akten der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, da die Tucholsky-Stiftung für ihre Unterstützung von den Doktoranden forderte, dass diese im Ausland studieren. Und der Herr Doktor in spe aus Deutschland verliebte sich in die Stadt an der Donau: »Wenn ich noch einmal jung wäre, würde ich gern in Wien bleiben.« Angetan hatten es ihm die Menschen und viele Freunde dort, die wunderschöne Stadt mit ihren architektonisch einmaligen Bauten und vor allem die Natur der Umgebung. Denn Klettern, Wandern und Skilaufen waren und sind seine geliebten Freizeitbetätigungen. Sportlich kann er sich auch von Nürnberg aus in diesen Disziplinen betätigen. Zurückgebracht nach Nürnberg haben den (Un-)Ruheständler in Sachen NS-Aufarbeitung dann aber letztlich der gar nicht mehr so schnöde Beruf und seine Freunde.

 

Manfred Gendsior und Romana Schemm (delikatEssen)
Manfred Gendsior und Romana Schemm (delikatEssen)

Viel in der Welt herumgekommen, aber auch wieder in der Geburtsstadt die Zelte aufgeschlagen, hat Romana Schemm (60). Die waschechte »L(e)onharderin« betreibt seit 2008 mit ihrem Mann Manfred Gensior, einem gebürtigen Sauerländer (58), das »DelikatEssen« am Weinmarkt in Nürnberg. Dort gibt es beinahe alles, was die Sinne von Genießern anspricht und begeistert: ausgesuchte Weine und Öle, Schokoladen, Spirituosen und obendrauf immer ein gutes Gespräch übers Essen und Gott und die Welt. Ein Feinkostladen der sehr gehobenen Art. Bevor sie diesen Laden eröffnete, arbeitete die gelernte Bankkaufrau mit dem BWL-Abschluss lange Zeit in etlichen Sparten ihres Metiers – ihr Ehemann als Ingenieur in einem Hochtechnologieunternehmen in vielen Ländern. »Reisen gehörte für uns damals in den 90er Jahren und später einfach dazu«, erinnern sie sich. Und sie fügt hinzu, dass sie sich, wäre sie noch einmal jung, gut vorstellen könnte, eine Ananasplantage auf der südostasiatischen Insel Sumatra aufzubauen: »Das hat mich damals wie heute fasziniert.« Es könnte aber auch eine Hotelanlage auf der Insel Bali sein.

Ihr Mann hingegen will sich nicht in den Gedanken vertiefen, noch einmal jünger zu sein: »Ich hab‘ damals meine Koffer gepackt und bin losgefahren – aus dem Sauerland in die Welt.« Er hat immer den Augenblick gelebt – und genossen. Wunschdenken und solche Fragen sind nicht seine Sache, weil er sein Leben voll mit Ereignissen, vor allem aber Menschen sieht, mit denen er nichts anderes machen würde als das, was er damals getan hat und heute tut. Sicher hätten beide diesen Laden nicht unbedingt in Nürnberg eröffnen müssen. Aber einerseits wollte sich Romana Schemm um ihre Mutter kümmern. Zum anderen aber stellten sie und ihr Mann irgendwann fest, dass in der Frankenmetropole »eine Greißlerei« fehlt. Diese tollen österreichischen Delikatessläden haben Romana Schemm und Manfred Gensior auf ihren Reisen kennen- und schätzen gelernt. Und genau diese Lücke wollten sie schließen.

Dr. Hartmut Frommer
Dr. Hartmut Frommer

Auf eine ganz andere, ihm sehr eigene Art, geht der ehemalige Stadtrechts-Direktor von Nürnberg, Hartmut Frommer (75), die Frage an: »In Tübingen studierte ich Ende der 50er Jahre Theologie und Germanistik«, erklärt er. »Und ein schönes Mädchen, mit dem ich übrigens noch heute befreundet bin, hat mich in juristische Seminare mitgenommen.« Das Resultat: Hartmut Frommer war fasziniert – von der Disziplin der Sprache in der Rechtswissenschaft. Obwohl er, wie er einräumt, von der Straf- und Zivilrechts-Vorlesung damals wenig verstand. In Tübingen traf er auch auf den einflussreichen SPD- und Friedenspolitiker Erhard Eppler: »Er war nicht nur mein Lehrer, er war mein Vorbild«, sagt Frommer über diese Begegnung. Und irgendwie hat ihn das auch gegenüber den damaligen 68-ern immunisiert, die ihn, den damaligen Rechtsreferendar, durchaus »angemacht« hatten. In der Folge engagierte er sich nicht außerparlamentarisch, sondern kandidierte (erfolglos) in Roth 1972 für die SPD als Landrat. Erfolgreicher hingegen war er als Jurist für die Stadt Nürnberg. 1970 als Rechtsassessor eingetreten, schulte er den Nachwuchs in juristischen Dingen. Und es gelang ihm der Weg bis in die Führungsriege der Stadt. 1991 schließlich wurde er berufsmäßiger Stadtrat und Rechtsreferent. Und wie beantwortet Hartmut Frommer unsere Frage? »Wenn ich noch einmal jung wäre, hätte ich mich an diesem erwähnten Punkt in meinem Leben gefragt, was geschehen wäre: Hätte ich Theologie studiert oder mich den 68ern angeschlossen?« Alles denkbar. Ein guter Kirchenjurist vielleicht oder ein Professor wäre er wohl auch gern geworden. Aber wohl kaum ein Politiker.

Maria Selbischka (Marktfrau).
Maria Selbischka (Marktfrau).

Maria Selbitschka (87) hat eigentlich nie aufgehört, ihren Beruf auszuüben. Bei Wind und Wetter steht sie ein bis zwei Tage in der Woche auf dem Hauptmarkt und verkauft Gemüse. Die Frau mit dem freundlich-schalkhaften Gesicht muss dort nicht stehen: »Ich darf dort stehen.« Diese Begründung hat sie vor ein paar Jahren dem Bayerischen Fernsehen (BR) in einem Kurzporträt über sich gegeben. Das Video über die »lebenslange« Marktfrau steht noch heute im Netz. Begonnen hat Maria Selbitschka mit dem Gemüsehandel 1953, als sie mit ihrem Mann nach Nürnberg kam. So betrieb sie lange Jahre einen Laden am Plärrer, quasi als Zubrot zum Verdienst ihres Mannes, der beim Motorradhersteller Zündapp arbeitete. Diese Zeit in Nürnberg möchte sie nicht missen. Aber wenn sie noch einmal jung wäre, dann »würde ich, wenn ich könnte, gern alle meine Leute hier mitnehmen und in den Böhmerwald in mein Heimatdorf ziehen.« Das Dorf heißt Fils und liegt heute in Tschechien. Gern erinnert sie sich an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen aus dem Dorf, aus dem sie 1946 mit 19 Jahren mit ihren Eltern vertrieben wurde. Und dass sie das immer noch bewegt, merken die Kundinnen und Kunden, die etwas Zeit aufbringen und sich mit ihr unterhalten.

So wie Maria Selbitschka, die übrigens noch im hohen Alter auf Plakaten für Ökostrom geworben hat, wollte die Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg, Eva Löhner (60), eher nicht in der Öffentlichkeit stehen. »Zwischen 20 und 30 habe ich studiert«, erzählt sie, »und es hat sich in und mit mir eine wenig optimistische Sicht auf die Welt herausgebildet.« Nach einem achtjährigen Studium, von der Philosophie über die Kunstgeschichte bis zur Soziologie, bekam sie 1987 eine Stelle bei der Stadt Nürnberg im Rahmen einer sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) im Büro der damaligen Frauenbeauftragten. »Da hatte ich saumäßiges Glück«, meint sie rückblickend. Sie hatte eine Stelle gefunden, in der sie einerseits die engagierte Pessimistin bleiben durfte, die sie auch noch nach dem Studium war. Anderseits »konnte ich aus der zweiten Reihe agieren, um wichtige Dinge anzuschieben«. Das passte zu ihr – damals. Aber heute steht sie doch an vorderster (Frauen-)Front für Frauenrechte? »Jaaa«, kommt es gedehnt zurück, »heute pflege ich einen eher heiteren Pessimismus als in meinen Studien- und Nachstudienzeiten.« Nicht, dass ihr das »Carpe diem« (zu Deutsch: nutze den Tag!) heute flüssig aus dem Mund käme. Von denen, die damit täglich ihre Selbstoptimierung zum Ausdruck bringen, grenzt sich Eva Löhner ausdrücklich ab. Aber mit dem Alter sei der strikte Pessimismus einer heiteren, ironischen Weltbetrachtung gewichen, die es ihr eben auch ermöglicht, Öffentlichkeit besser auszuhalten. Und was hätte sie nun anders gemacht, wenn sie noch einmal jünger wäre? »Dann hätte ich mir diese Art der Selbst- und Weltbetrachtung, die ich heute pflege, wesentlich eher angedeihen lassen sollen.« Rückblickend wäre vielleicht einiges leichter zu tragen und zu ertragen gewesen, fügt sie hinzu.

Dieser relaxte Blick zurück, der die Vergangenheit nicht verklärt, sich ihr stellt, sich aber auch nicht von ihr vereinnahmen lässt, ist es wohl, der eine ganze Altersgruppe ausmacht, die einen heiteren Rückblick auf ein Leben in Europa wirft, das im Wesentlichen durch eine friedliche und prosperierende Nachkriegsgesellschaft gekennzeichnet war. Ein großes Privileg!

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