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Norbert Gött ist HIV-positiv. Mit der Situation geht der Rentner offen um. Foto: Roland Fengler

Norbert Gött hat in den vergangenen Jahren so einiges mitgemacht: er musste sich einer Schilddrüsen-OP unterziehen, eine Krebserkrankung mit Tumorentfernung und Bestrahlung überstehen – und dann auch noch die Diagnose Aids hinnehmen. Seit Januar 2011 weiß der 67-Jährige, dass er HIV-positiv ist; angesteckt, so vermutet er heute, hat er sich wohl fünf Jahre zuvor. “Aber wie und wo das genau passiert ist, kann ich nicht sagen.” Das tut aber im Grunde nicht viel zur Sache. Der frühere Koch musste mit Mitte 60 lernen, mit dem Erreger klar zu kommen.

Mit der neuen Situation geht der Rentner offen und souverän um. Seine Kinder wissen Bescheid, seine Freunde und sogar sein Vermieter: “Ich wollte daraus kein Geheimnis machen”, sagt er, “und habe es erzählt – mit der Folge, dass mein Sohn den Kontakt zu mir abgebrochen hat.”

Auch Jacques Gonzales (Name geändert) war schon über 50, als er von seiner Infektion erfuhr. Immer wieder hatte der heute 60-Jährige Tests gemacht, sie waren stets negativ. “Da war das positive Ergebnis wirklich ein Schock, ein echter Hammer.” Dennoch verfiel der gebürtige Spanier nicht in Depressionen, sondern begann, sein Leben dem HI-Virus und der Erkrankung anzupassen – auch wenn das dem umtriebigen Gastronomen bis heute nicht immer leicht fällt. Früher, erzählt er, habe er sich immer um mindestens fünf Jahre jünger gefühlt. Das sei nun anders: “Jetzt spüre ich mein Alter wirklich; ich bin in kurzer Zeit um mehrere Jahre gealtert.”

Was nach einem rein subjektivem Empfinden klingt, haben Ärzte und Wissenschaftler tatsächlich nachgewiesen: “Eine HIV-Infektion kann durchaus zu einem schnelleren Alterungsprozess führen”, erläutert Manfred Schmidt, Fachvorstand bei der Aids-Hilfe Nürnberg-Fürth-Erlangen. Da in den 80er und 90er Jahren viele HIV-positive Menschen an der Infektion schon sehr früh gestorben sind, gibt es in dem Bereich noch nicht viele Langzeitstudien und daher auch keine geltende Lehrmeinung. Aber es mehren sich die Hinweise, dass zehn Jahre leben mit HIV einem Alterungsprozess von 15 Jahren ohne HIV entsprechen.

Medikamente mit Nebenwirkungen

So scheinen bei Aids-Kranken bestimmte “Alterserkrankungen” häufiger in früheren Lebensjahren aufzutreten als in der Gesamtbevölkerung. Neben dem Darm, der oft schon kurz nach der HIV-Infektion schwer geschädigt ist, können im Lauf der Zeit Nieren, Knochen, Gehirn, Blutgefäße, Herz, Zahnfleisch oder Zahnhalteapparat angegriffen werden – mitverursacht entweder durch die Zerstörung der Immunzellen in den Organen oder durch die mit der Infektion verbundenen Entzündungsreaktionen. Auch klassische Alterserscheinungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes oder Schäden an der Leber treten bei Aids-Kranken überdurchschnittlich häufig schon in früheren Jahren auf, was unter anderem an den Nebenwirkungen der Medikamente liegen kann.

Eine Reihe von Experten betont vor allem einen Zusammenhang von Aids und Krebs. Denn Ärzte stellten bei HIV-Positiven oder an Aids Erkrankten einige Krebsarten vermehrt oder auch in vergleichsweise jüngerem Lebensalter fest, wie etwa Tumore in der Lunge, im Mund- und Hals sowie in den Lymphdrüsen (Hodgkin-Lymphom). Inwieweit die beiden Krankheiten sich gegenseitig bedingen oder beschleunigen, darüber gehen die Meinungen in Fachkreisen allerdings auseinander.

Es geht nicht mehr so wie früher

Zufall oder nicht: Auch Norbert Gött (Mund und Rachen) und Jacques Gonzales (Lymphdrüsen) haben eine Krebserkrankung hinter sich. Gött kommt mit den diversen Medikamenten, die er nun für seine verschiedenen Krankheiten einnehmen muss, gut zurecht. Und auch bei Gonzales kam es zwischen der Chemo-Therapie und den Arzneien gegen seine HIV-Infektion nicht zu den befürchteten Wechselwirkungen. Inzwischen hält er sich wieder mit Fahrradfahren und Wandern so fit wie nur möglich, auch wenn er zugeben muss: “Es geht nicht mehr so wie früher.”

HIV-Infizierte könnten inzwischen dank verbesserter Therapie- und Medikamentenangebote alt werden, sagt Aids-Hilfe-Mitarbeiter Schmidt. Neben der Krankheit tauchten dann aber oft zusätzliche Probleme auf, wie etwa beim Antrag auf (Erwerbsminderungs)-Rente. “Zwar fällt bei älteren HIV-Positiven oft die Sorge weg, wegen ihrer Infektion ihren Arbeitsplatz zu verlieren, dafür aber müssen sie in der Regel schauen, wie sie finanziell über die Runden kommen”, sagt Schmidt.

Richtig unangenehm wird es für Kranke dann, wenn sie in Praxen und Kliniken auf Ärzte, Pflegekräfte oder Sprechstundenhilfen stoßen, die in Panik völlig übertriebene Schutzmaßnahmen ergreifen. Und auch wenn kein ambulanter Pflegedienst aus Sorge vor einer Ansteckung bereit ist, die Betreuung zu übernehmen, geraten HIV-Kranke in Nöte. Zwar bietet der gemeinnützige Verein im Betreuten Einzelwohnen solchen Erkrankten besondere Hilfe durch Besuche in deren eigenen Wohnungen an. Das aber kann auf Dauer einen Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim oft nicht verhindern. Aber auch ein Umzug läuft nicht immer reibungslos ab: “Als eine Familie ihren erkrankten älteren Angehörigen in ein Heim geben wollte, war es sehr schwer, einen Platz zu finden”, berichtet Schmidt.

Noch ist also kaum ein Altenheim auf HIV-positive Senioren vorbereitet. Das aber werde sich bald ändern müssen, meint der Fachmann. Denn schon in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird es immer mehr ältere HIV-Positive geben. Die mittelfränkische Aids-Hilfe reagiert auf diese Entwicklung und bietet Seminare und Fortbildungen für Personal in Altenheimen, bei Pflegediensten und in Krankenpflegeschulen an: “Ich würde mir in den Einrichtungen dafür noch mehr Interesse wünschen”, äußert Schmidt. “Schließlich müssen auch Aids-Kranke im Alter versorgt werden.”

Sharon Chaffin

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