Uli Peters ist der Initiator des Daggel-Stammtisches. Der »gut erhaltene 50er«, der durchaus noch in der Lage ist, sechs Stunden zu seiner Musik durchzutanzen, hatte die Idee der regelmäßigen Treffen. Er schafft es mittlerweile, etliche Altrocker vom Sofa zu locken, sie mit Gleichgesinnten zusammenzubringen. Natürlich wird über die alten Zeiten gesprochen, über tolle Konzerte oder wie es war, »seinem« Star einmal ganz nahe gewesen zu sein. Aber man sieht auch so manchen Vorteil, der mit dem Älterwerden verbunden ist: »Viele von uns können sich jetzt ihren Jugendtraum erfüllen. Sei es, dass sie die Rockcafés in Europa bereisen und stolz ihre Mitbringsel zeigen, sich in Hamburg die frisch erworbene Harley abholen oder ihre Plattensammlung mit einer besonderen Rarität ergänzen.«
Und ewig-gestrig fühlen sie sich keineswegs: »Die Rockszene ist nicht tot«, behauptet Peters. Immerhin wachse die Zahl der Sender, die sich auf diese Art von Musik spezialisieren. Discos wie die im Nürnberger Kulturzentrum »südpunkt«, wo regelmäßig an die 100 Menschen bei bester Stimmung abtanzen, werden immer beliebter. Der Kleinkunstverein Pegnitzbühne e.V. veranstaltet zum Beispiel alle zwei Monate eine Beatparty, wo es »wie in den 60-ern so richtig schnuggelig zugeht«, wie Uli Peters schwärmt, der auch selber ab und zu Platten auflegt.
Nein, dass sich die Zeiten geändert hätten, sei kein Grund, wehmütig zu werden. Aber einig sind sich alle Fans darin, dass die Musik von heute viel zu sehr von der Elektronik geprägt ist, dass musikalisches Können bei Castings oft zur Nebensache wird und der Kommerz die Szene fest im Griff hat.
Und da stößt Peters ins gleiche Horn wie Günter Berndt, der Rolling-Stones-Fan, der seine Idole erst wieder live erleben will, wenn sie nicht mehr vor Massenpublikum auftreten. »Ich habe mich bei meinem letzten Konzert so unwohl gefühlt unter diesen 100.000 Menschen. Mick Jagger in Stecknadelgröße – das ist nichts für mich.« Mittlerweile hat er auch einen gewissen Abstand zu seinen Idolen gefunden. »Ich bin natürlich nicht mehr so naiv wie früher. Die Arroganz und Geldgier, die Jagger und Co. an den Tag legen, stören mich sehr.«
Und so nimmt man es dem sympathischen Lehrer und Vater zweier Söhne, Jahrgang 1949, durchaus ab, wenn er sich als Individualisten sieht. Schon allein das Äußere hebt sich von der Erscheinung seiner meisten Altersgenossen ab: Unwillkürlich erinnern die dichten, dunklen, langen Haare, die Kajal-geränderten Augen und die Jeans zum roten Hemd an Marc Bolan von T-Rex oder an Jim Morrison von den Doors – wären da nicht die kleinen Fältchen.
Wenn er dann versonnen über seine »persönliche Sozialisation« in den Anfangsjahren von Elvis, den Beatles und den Stones spricht, kann man nachvollziehen, wie nicht nur die äußerliche Wandlung vom schüchternen Lehrling zum Mädchenschwarm vor sich ging. »Total infiziert« sei er von der Lässigkeit der Musiker gewesen und hat dann auch rasch sein Aussehen entsprechend angepasst. Dass mit der Länge der Haare auch die Achtung bei den Mädels wuchs, war natürlich ein wunderbarer Zusatzeffekt.
Der Musik und vor allem den Rolling Stones ist Berndt über all die Jahre treu geblieben. Entstanden ist in dieser Zeit eine beeindruckende Sammlung von Schallplatten, Filmen, CD, Programmheften und Büchern über die Stars und ein Fachwissen, das überwältigt. »Ich habe dem ZDF auch einmal eine Wette angeboten, dass mein Freund und ich die Stones-Lieder beim Anspielen schneller erkennen als die Bandmitglieder selber. Hätte solch eine Begegnung geklappt, wäre das sicher der Höhepunkt in meinem Leben geworden«, schwärmt Berndt.
So blieb es bei dem Bestreben, alles haben zu müssen, was es von und über seine »rollenden Steine« gibt. Das Internet macht es dem Sammler natürlich heute leicht, und da passiert es schon einmal, dass für teures Geld eine alte Fanzeitschrift ihren Besitzer wechselt. Berndt wanderte natürlich auf den Spuren seiner Idole. Zweimal war er in London, hat die Plattenstudios besucht und sich die Häuser der Stars angesehen. Er stand bei seinen Besuchen auch am Grab von Gitarrist Brian Jones. Der Vorgänger von Ron Wood ist nur 27 Jahre alt geworden, ihn verehrt Günter Berndt ganz besonders.
Wie viel ihn sein Hobby schon gekostet hat, kann er nicht sagen. »Ich lebe recht bescheiden, rauche und trinke nicht und habe keine so große Beziehung zum Geld. Umso dankbarer bin ich meiner Frau Karin, die so etwas wie die Stütze in meinem Leben ist. Sie toleriert meine Sammelleidenschaft und hält die Familie am Laufen.«
Dass er mit seinem auffälligen Äußeren manchmal belächelt wird, macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. »Dafür bin ich umso toleranter«. Das bekommen auch seine Schüler an der Nürnberger Ludwig-Uhland-Mittelschule zu spüren. »Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt, daran halte ich mich und ich denke, das merken die Schüler auch.« Die Schule, besonders der Sportunterricht dort, sei mittlerweile ein großes Hobby, und schon jetzt wird er leicht wehmütig, wenn er ans Aufhören in zwei Jahren denkt. »So arg freue ich mich da gar nicht drauf.« Aber Pläne für das Leben als Rentner gibt es schon. Intensiver Gitarre spielen, verreisen, mehr lesen, die Freiheit genießen und vielleicht einmal wieder eine Nacht durchmachen. »Das Schönste wäre natürlich, wenn man das bluesige und erdige Feeling der 60-er Jahre noch einmal erleben könnte. Noch einmal 14 sein – Yeah, das wär’s!«
(Jeden zweiten und vierten Freitag im Monat treffen sich die „Alden Daggel“ in der Fürther Kneipe »Kofferfabrik« Musikfans, die mit Rock und Blues groß geworden sind und dieses Lebensgefühl von damals in die heutige Zeit hinübergerettet haben).
Karin Jungkunz
Fotos: Mile Cindric