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Ob im Altenheim oder auf der Messe inviva: Seniorinnen möchten sich über die aktuellen Modetrends informieren. Foto: epd
Jetzt erreiche ich das Rentenalter. Habe ich mir eigentlich je darüber Gedanken gemacht, ob ich eine diesem Alter angemessene Kleidung trage? Kurzes Kopfkratzen! Dann die eindeutige Antwort: Nö! Spätestens seit ich dreißig Jahre alt geworden war, habe ich so eine Art Mode-unabhängigen Marken-skeptischen Couture-Stil entwickelt: Unten Jeans, darüber bunte Hemden, Pullover, die möglichst keinen Motten schmecken, von Fall zu Fall legere Jacketts. Eines hatte ich vor ein paar Jahren sogar in Lachsrosa (für den Sommerabend). Keine Krawatte, zum gehobenen Anlass Fliege, farbenfroh statt schwarz.
Wenn ich mir meine Freunde in der Altersgenossenschaft anschaue, sieht das bei ihnen kaum anders aus – selbstver-ständlich mit individuellen Akzenten. Man redet mit dem zunehmenden Alter eher über wachsende Wehwehchen oder mentale Verkrustungen als über das Outfit. Mode ist in grau melierten Männerrunden kein Thema. Bei den Damen mag das anders sein. Aber soweit ich das an meiner Weggefährtin beobachten kann, grübelt sie auch nicht über Seniorenkleidung nach. Sie beklagt höchstens, dass man für ganz junge Mädchen viele verspielte Wegwerfsachen auf den Markt bringt, während sie nach dem anspruchsvoll Verspielten lange suchen muss. Dabei ist ihre Figur noch immer mädchenhaft.
»Die Frage nach Seniorenmode stellt sich nicht mehr.« Mit diesen Satz bestätigt Kristina Albrecht die Beobachtung. Albrecht leitet die Abteilung Damenoberbekleidung bei GaleriaKaufhof in der Nürnberger Königstraße. Sie sagt: »Heute trägt man mit Sechzig die Mode, die auch Dreißigjährige tragen.« Kristina Albrecht hat den Überblick, denn an ihren Kleiderständern strömen jedes Alter und jede Klasse vorbei. Sie macht allerdings darauf aufmerksam, dass in 30 Jahren, wenn »frau« dann Neunzig ist, dann doch eine Geschmacksdifferenzierung zum Dezenten hin eintritt.
Mit 90 etwas dezenter
Aber das habe ich ja gewusst. Es ist nicht mehr wie bei meinen Großeltern. Die Opas kannten kaum Pullover, zogen höchstens mal eine Weste an. Die Omas gingen dunkel-gedeckt und banden sich im Wind das Kopftuch um, das heute als kulturelles Distinktionsmerkmal gilt. Gibt’s kulturelle Unterschiede beim Kleidungskauf? Kristina Albrecht beobachtet das in ihrer Abteilung nicht. Kopftuchträgerinnen teilten weitgehend den Geschmack ihrer abendländischen Altersgenossinnen, sagt sie. Höchstens die Damen aus Osteuropa tendierten zu mehr auffälliger Eleganz. Sonst müsse sie selten übertrieben jugendliche Modetriebe korrigieren, sagt sie, eher zu mehr Kauf-Mut motivieren.
Mut auf dem Laufsteg machen den weiblichen Wesen aller Jahrgänge aber inzwischen die Marken bekannter Mode-Designer, die selbst längst gealterte Herren sind. Wolfgang Joop geht auf die Siebzig, Karl Lagerfeld verrät sein Alter nicht (sieht aber entsprechend aus) – und Hugo Boss ist seit langem tot. Lagerfeld hat kürzlich eingeräumt, dass er nicht nur Mode für Jugendliche mache und genügend 15 Jahre alte russische Models gesehen hätte. Er hat jetzt auch Fünfzigjährige (etwa die Französin Inès de la Fressange) auf den Catwalk geholt. Und GaleriaKaufhof hat vor zwei Jahren auf der Seniorenmesse Inviva erstmals eine Modenschau mit knackig gereiften Models veranstaltet. 2012 wird es nicht anders sein.
In meiner Markenferne interessieren mich Herr Lagerfeld und seine Kreationen herzlich wenig. Doch sein Wirklichkeitssinn ist bemerkenswert – und wird von Patrick Lemire von der Pariser Modelagentur Marylin Agency bekräftigt. Der sagt, dass »reife, selbstbewusste Frauen« heute »weniger Glamour und mehr Realität« suchten. Ich suche meine modische Realität derweilen in »Season«, einem Katalog der Textilwirtschaft für das Frühjahr 2012. Ich blicke auf Fotos ranker junger Männer mit vielen Haaren. Die entsprechen meinem Selbstbild keinesfalls. Aber das meiste, was sie an Kleidung vorführen, kann ich mir – in der Mitte etwas geweitet – an meinem Körper vorstellen. Da ist kaum etwas, was mich alterstypisch verschrecken würde.
Genauso dürfte die Damenmode des Frühjahrs meiner Gefährtin passen. Was im Trend liegt? Kristina Albrecht kündigt an: »Knallige Farben, auch in Kombination. Orange mit Pink, Royalblau, kräftige Rottöne, Gelb. Das geht durch alle Kollektionen. Man ist detailverliebt, feminin, im Jackenbereich klassisch. Ich bin gespannt, wie das von der älteren Klientel angenommen wird.« Mir fällt ein, dass ich wohl wieder ein paar Sommerjeans brauche. Irgendwie sehen die seit über 30 Jahren ähnlich aus.
Herbert Heinzelmann
Foto: NN-Archiv
Karl Lagerfeld lässt sich inzwischen auch von reifen Models wie Inès de la Fressange (Mitte) inspirieren und setzt damit ein deutliches Signal.

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